— 212
Doch strenge blickt der Kaiser den sünd'gen Bruder an
Zweimal hab' ich vergeben, nicht fürder mehr fortan!
Die Acht ist ausgesprochen, das Leben dir geraubt,
nach dreier Tage Wechsel da fällt dein schuldig Haupt!“
Bleich werden rings die Fürsten, der Herzog Heinrich bleich
und Stille herrscht im Kreise gleichwie im Totenreich;
man hätte mögen hören jetzt wohl ein fallend Laub,
denn keiner wagt zu wehren dem Löwen seinen Raub.
Da hat sich ernst zum Kaiser der fromme Abt gewandt,
das ewige Buch der Bücher, das hält er in der Hand
er liest mit lauter Stimme der heil'gen Worte Klang,
daß es in aller Herzen wie Gottes Stimme drang;
„Und Petrus sprach zum Herren: Nicht so? genügt ich hab
wenn ich dem sünd'gen Bruder schon siebenmal vergab?
Doch Jesus ihm antwortet: Nicht siebenmal vergieb
nein, siebenzig mal sieben, das ist dem Vater lieb.“
Da schmilzt des Kaisers Strenge in Thränen unbewußt,
er hebt ihn auf, den Bruder, er drückt ihn an die Brust;
ein lauter Ruf der Freude ist jubelnd rings erwacht,
nie schöner ward begangen die heil'ge Weihenacht.
Heinrich v. Mühler
231. Die Kaiserwahl.
Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben,
des sächsischen Geschlechtes leter Zweig,
das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht.
As nun die Botschast in das Reich erging.
da fuhr ein reger Geist in alles Volk,
ein neu Wellaller schien herauf zu ziehn;
da lebte jeder längst entschlafne Wunsch
und jede längst erlosch'ne Hoffnung auf.
Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann,
dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg,
sich heimlich forschend mit den Blicken maßz
kann's doch nach deutschem Rechle wohl geschehn,
daß, wer dem Kaiser heut' den Bügel hält,
sich morgen selber in den Sattel schwingt.
Jeht dachten unsre freien Männer nicht
an Hub⸗ und Haingericht und Markgeding,
wo man um Esch⸗ und Holzteil Sprache hielt;
nein, stattlich ausgerüstet, zogen sie
aus allen Gauen einzeln und geschart
ins Maienthal hinab zur Kaiserwahl.
An schönen Rheinstrom zwischen Worms und Mainz,
wo unabsehbar sich die ebne Flur
auf beiden Ufern breitet, sammelte
der Andrang sich; die Mauern einer Stadt