Full text: Für die Mittelstufe (4., 5. und 6. Schuljahr) (Teil 2, [Schülerband])

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Erster Abschnitt. 
27. Der Nektavtropfen. 
J. W. v. Goethe. 
Als Minerva jenen Liebling, 
Den Prometheus, zu begünst’gen, 
Eine volle Nektarschale 
Von dem Himmel niederbrachte, 
Seine Menschen zu beglücken 
Und den Trieb zu holden Künsten 
Ihrem Busen einzuflössen, 
Eilte sie mit schnellen Füssen, 
Dass sie Jupiter nicht sähe; 
Und die goldne Schale schwankte, 
Und es fielen wenig Tropfen 
Auf den grünen Boden nieder. 
Emsig waren drauf die Bienen 
Hinterher und sogen fleissig; 
Kam der Schmetterling geschäftig, 
Auch ein Tröpfleih zu erhaschen; 
Selbst die ungestalte Spinne 
Kroch herbei und sog gewaltig. 
Glücklich haben sie gekostet, 
Sie und andre zarte Tierchen: 
Denn sie teilen mit den Menschen 
Nun das schönste Glück, die Kunst. 
28. Die wandelnde Glocke. 
J. W. Goethe. 
Es war ein Kind, das wollte nie 
Zur Kirche sich bequemen, 
Und Sonntags fand es stets ein Wie, 
Den Weg ins Feld zu nehmen. 
Die Mutter sprach: „Die Glocke tönt, 
Und so ist dir’s befohlen, 
Und hast du dich nicht hingewöhnt, 
Sie kommt und wird dich holen.“ 
Das Kind, es denkt: „Die Glocke hängt 
Da droben auf dem Stuhle.“ 
Schon hat’s den Weg ins Feld gelenkt, 
Als lief es aus der Schule. 
Die Glocke, Glocke tönt nicht mehr, 
Die Mutter hat gefackelt. 
Doch welch ein Schrecken! Hinterher 
Die Glocke kommt gewackelt. 
Sie wackelt schnell, man glaubt es kaum; 
Das arme Kind im Schrecken, 
Es läuft, es kommt als wie ein Traum; 
Die Glocke wird es decken. 
Doch nimmt es richtig seinen Husch, 
Und mit gewandter Schnelle 
Eilt es durch Anger, Feld und Busch 
Zur Kirche, zur Kapelle. 
Und jeden Sonn- und Feiertag 
Gedenkt es an den Schaden, 
Lässt durch den ersten Glockenschlag 
Nicht in Person sich laden.
	        
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