102 Die Neuz eit.
d. Zwingli. Gleichzeitig mit Luther, aber unabhängig von ihm,
begann auch UlrichZwingli (geb. 1484) das Werk der Reformation.
Schon als Prediger zu Einsiedeln, einem vielbesuchten Wallfahrtsorte
nn Kanton Schwyz, lehrte er: „Gott läßt sich allenthalben finden;
das Wallfahrten allein nützt nichts ohne innere Besserung; Gott veraiebt
allein um Christi willen den bußfertigen Menschen die Sunde." 1518
kam Zwingli als Prediger nach Zürich und lehrte auch dort das lautere
Evangelium, zeugte wider Aberglauben, Verderbnis der Geistlichen und
andere Mißbräuche der Kirche, und das Volk strömte ihm zu. Als der
Ablaßkrämer Samson auch nach Zürich kam, predigte Zwingli so ge¬
waltig gegen ihn, daß demselben der Verkauf des Ablasses 'in Zürich
untersagt wurde. Der Papst suchte Zwingli durch Versprechungen zum
Schweigen zu bringen; als dies nicht gelang, forderte der Bischof von
Basel den Rat der Stadt Zürich aus, alle kirchlichen Neuerungen einzu-
stellen. Ilm die Gerechtigkeit seiner Sache darzuthun, bat Zwingli um
ein öffentliches Religionsgespräch. das in Zürich unter Anwesenheit
von 600 Geistlichen stattfand und in welchem Zwingli alle seine Gegner
uberwand. Der Rat und die Bürger Zürichs waren von der Wahrheit
der Lehren Zwinglis so überzeugt, daß allen Züricher Geistlichen geboten
wurde: „Es sollen alle Pfarrer ihre Lehre einzig nach der Bibel beweisen,
die Neuerungen und menschlichen Erfindungen aber weglassen." Auf
Zwinglis Rat wurden die Klöster aufgehoben, die Messe, das Cölibat,
das Weihwasser, die letzte Ölung, die Fronleichnams - Prozession abge-
schafft, die Reliquien vergraben, alle Bilder, ja sogar die Orgeln aus
den Kirchen entfernt. 1524 verheiratete sich Zwingli; 1525 feierte man
zum erstenmal das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Dem Beispiele
Zürichs folgten viele andere Städte, wie Basel, St. Gallen, Bern, Mühl-
Hausen, Stmßburcj, Augsburg, Ulm, Konstanz; dagegen blieben im
Innern der Schweiz - in Luzern, Schwyz, Zug, Uri und Unter-
walden — das Bergvolk und der Adel dem alten Glauben treu und
traten zu einem Bunde zum Schutze des alten Bekenntnisses zusammen.
Weil Zwingli nach Luthers Meinung in der Abschaffung des Be-
stehenden, besonders des Kirchenschmuckes und der Orgel, zu weit ging
und eine von ihm abweichende Auffassung vom Abendmahle hatte, so
nannte Luther ihn einen Sektierer, und 'beide bekämpften einander in
ihren Schriften. Philipp von Hessen wollte die beiden streitenden Parteien
gern vereinen, weil sie vereint den Katholiken leichter widerstehen konnten,
die auf dem Reichstage zu Speier (f. unten!) so drohend aufgetreten
waren. Er veranstaltete deshalb (Michaelis 1529) zwischen Luther und
1529 Zwingli zu Marburg ein Religionsgespräch, das aber nicht den
gewünschten Erfolg hatte.
Zwingli gab in vielen, weniger wichtigen Punkten nach; aber in
betreff des Abendmahls hielt jeder seine Meinung fest. Luther hatte die
Worte: „Das ist mein Leib" mit Kreide vor sich aus den Tisch ge-
schrieben und hielt unerschütterlich an der Ansicht fest: „Der gläubige
Christ empfängt durch, mit und unter dem Brot und Weine den
Leib und das Blut Christi." Zwingli dagegen behauptete, das Wort:
„das ist mein Leib" heiße soviel, als: „das bedeutet meinen Leib",