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Europa. Die Herzogtümer Schleswig-Holstein-Lauenburg.
ist er nur 2— 1 '/2 Meilen breit. Die Watten sind Uebergangsglieder vom Meere
zum Lande, vom Lande zur Inselwelt, indem sie täglich zweimal das Ansehen von Fest;
land und eben so oft den Anblick von Meer gewähren, kahle Sandflächen, die zur Zeit
der Ebbe aus dem Meere treten, zur Fluthzeit vom Meeresspiegel bedeckt sind, unzäh¬
ligen Schiffen, Tausenden von Menschen das Leben gekostet haben. Eigenthümlich ihr
Anblick, die weite Fläche eines völlig wüsten, wilden Landes, weit und breit ausgestreckte
kahle Sandflächen, zwischen deren schwach gehobenen Rücken zahlreiche mit Waffer
belaufene Stellen blinken; scharf und schneidend ihr Gegensatz zum Marschstrich; hier
die üppigste Fruchtbarkeit, der herrlichste Anbau, dort die vollendetste Wüstenei; hier
ein neugewonnener frischer Boden, dort das Gerippe eines uralten, untergegangenen
Landes; hier das Walten der schaffenden Menschenkunst, dort das Walten und Schalten
roher, zerstörender Naturkräfte; hier die Furcht vor dem Verluste des Ergriffenen, dort
die Hoffnung einer neuerstehenden Landschaft. Trotz der Einförmigkeit im Ganzen
zeigen sie doch mannigfache Erscheinungen, mancherlei Verschiedenheiten, Erzeugnisse,
Thiere, Pflanzen, Mineralien, wichtig den Küstenschiffern, die durch sie ihre Wege
suchen, wichtig für die Bewohner und Beherrscher der Länder, denen sie vorliegen, da
auch sie Einnahme und Erwerb gewähren. Noch sind diese Verhältnisse wenig bekannt
und gewürdigt; eine ausführlichere Schilderung ist darum hier an seinem Ort.
Mehrfach scheint die Entstehungßweise der Watten zu sein; einige sind augenscheinlich
zerstörte und abgewaschcne Inseln und Landschaften, andere durch die Wellen bewirkte Sand¬
anhäufungen, deren Ursprung theils das Meer, theils die einmündenden Ströme sind. Die
Watten werden von Wasserströmungen durchschnitten, welche theils ihren Ursprung in den
Binnenströmen haben, welche die Watten bis weit ins Meer hinaus durchbrechen, theils von den
täglich zweimal ebbenden Meeresfluthcn, die in einer Menge kleiner Flüffe abfließen und sich
dann in mächtigen Strömen sammeln; die letztem, die eigentlichen Wattflüsse, führen nach
ihrer verschiedenen Größe verschiedene Namen: Spra unten, Schlöte, Löcher, Rönnen,
Fleethe, Logde, Lägde, die größern werden Priele oder Balgen, die allergrößten
Ströme genannt; die kurzen, breiten Verbindungsarme von 2 gleichlaufenden Strömen führen
den Namen Gatts, d. i. Thore, oder Dybö, d. i. Tiefen; jeder der zahlreichen Wattflüsie
hat seinen eigenen Namen, alle sind veränderlich, alte verschwinden, neue erscheinen, doch ist
die Wandelbarkeit im Allgemeinen nicht übermäßig groß. Die Watten selbst sind sehr ver¬
schieden nach Größe, Form und Beschaffenheit, alle sind mehr oder weniger abgerundet, ent¬
weder insel-, oder auch halbinselartig, aus seinem Sand oder aus grobem Stcingerölle bestehend,
fein- oder grobkörnige Watten; mit stark zusammengeschlagener, fast felsenfester Ober¬
fläche, feste, grobkörnige Watten; andere mit so lockerer Oberfläche, daß sie bei trockenem
Wetter zu stäuben anfangen, stäubende Watten; bei andern schwimmt der Flugsand noch
im Waffer, die schlickenden Watten. Die nie vom Meere entblößten Sandai,Häufungen
werden Sandbänke oder Sande genannt, die Watte muß zur Evbczeit sich als trockenes
Land zeigen, ragt mehr oder minder hoch aus dem Waffer, wenige Fuße und Zolle reichen
hin, um alle Verhältnisse der Watte umzugestalten; sie wird entweder nur bei der Ebbe blo߬
gelegt, oder erscheint auch bei der Fluth unbedeckt, einige werden nur bei außergewöhnlichen
Fluchen auf kurze Zelt bedeckt. Die äußersten und unergiebigsten Watten liegen auf der Grenze
zwischen Meer und Festland, sie erzeugen gar nichts, tragen den Namen rohe Watten,
Sande, Gründe, Platten, etwas höhere tragen Pflanzen; die es vertragen, täglich 2mal
vom Meere umspült und auch wieder aufs Trockene gesetzt zu werden, die Queller Watten,
die Salicornia oder der Kiückfuß, und die Meeraster oder der Sult sind die sie bezeichnenden
Pflanzen, ihnen folgen die Graswatten, Vorlande, Außendeiche, Heller, durch den
Andel oder das Seerispengras bezeichnet; diesen bei Vermehrung der Gräser die Hcuwatten,
die gemäht, getrocknet, geerndtet werden können; noch höher liegende tragen schöne, große, oft
stundenlange Wiesen, die zur Zeit der Ebbe wie Teppiche auf den Watten liegen, zur Fluthzeit
wie grüne Inseln im Meere schwimmen und dem Vieh zur nahrhaften Weide dienen, die
Weidcwatten, die jedoch unbewohnt sind; das Vieh wird zur Tränke 1 —2mal nach Hause
getrieben, oder hinter die Deiche zu den Binnermeenten, d. s. große Süßwafferbccken; auf
den größern Weidewatten werden selbst Tränken ausgegraben, deren Anlage oft 4—6000 Thlr.
kostet, die zuweilen 5 — 6 Morgen Landes umfassen, dann bei großen Stürmen dem Vieh Schutz