Full text: D. Christian Gottfried Daniel Stein's kleine Geographie oder Abriß der gesammten Erdkunde für Gymnasien und Schulen

112. Der Deulsch-französische Krieg. 1870—1871. 419 
Nacht zum 12. Januar abgezogen- aber die Nachhut hielt die Stadt noch besetzt 
und kämpfte lebhaft hinter Barrikaden und Mauern. Ostfriesen (78) und Olden¬ 
burger (91) schreiten zum Sturm. Es kommt zu wildem Straßenkampf, während 
die Artillerie unablässig die Stadt beschießt. Namenlose Verwirrung! Hornisten 
blasen unaufhörlich zur Attacke; Hurra über Hurra ertönt. Die Einwohner rüsten 
sich zur Verteidigung. Aus Fenstern, Kellerlöchern. Dachluken fallen Schüsse. Doch 
vorwärts dicht an den Häusern entlang! Zwei Kompagnien der Oldenburger zu- 
nächst nach dem Bahnhose! Die auf dem Perron stehenden Mobilgarden fliehen. 
Mit den abdampfenden Güterzügen laufen unsere Musketiere um die Wette, richten 
ihre Schüsse aus die Lokomotive und suchen, die Züge zum Stehen zu bringen. 
Sechs Lokomotiven und 200 mit Kriegsgerät aller Art beladene Wagen fallen 
ihnen in die Hände, an der Hauptbrücke über die Sarthe außerdem noch 600 Pro¬ 
viantwagen, die eben der fliehenden Armee nachgeführt werden sollten. Ein be- 
sonders hartnäckiger Kampf entspinnt sich auf der Place des Halles. Bürger und 
Soldaten leisten verzweifelt Widerstand. Den Platz umschließen hohe Gebäude, 
namentlich Hotels und Eafes. Sämtliche Eingänge sind verrammelt, und aus den 
oberen Stockwerken und Dachluken sprüht ein Hagel von Geschossen auf die An- 
greifer. Nach und nach sammeln sich auf dem Platze Abteilungen der verschiedensten 
Regimenter des X. Korps. Trotzdem gelingt es nicht, sich der Bollwerke zu be- 
mächtigen. Erst als ein Geschütz (2. leichte Batterie) ausgefahren wird und einige 
Granaten in die Häuser wirft, wird es der Infanterie möglich, einzudringen. 
Etage für Etage, Keller und Bodenräume müssen einzeln erobert werden, wobei 
zahlreiche Gefangene den Unfern in die Hände fallen. Die Dunkelheit ist längst 
hereingebrochen, als man endlich Herr des Platzes wird. Aehnlich wie hier ging 
es auch an anbern Plätzen und Straßen. Endlich legt sich der Kampf. Le Mans 
muß sich in sein Schicksal ergeben. 
Abteilungen des X. Korps verfolgten den fliehenden Feind über 
Le Mans hinaus und kamen bis Laval, dem westlichsten Punkte, bis 
zu welchem deutsche Truppen in diesem Kriege vorgedrungen. Der 
Zweck, J)es gewaltigen Vormarsches der zweiten Armee war erreicht: die 
französische Loirearmee war endgültig von Paris abgedrängt. Ungestört 
konnte nun die Belagerung der Riesenfestung weiter vor sich gehen, zu- 
mal auch die Nord arm ee am 19. Januar bei St. Quentin vernichtet wurde. 
b. Die Belagerung von Belfort und die Schlacht an 
der Lisaine. Eine letzte ernstliche Gefahr sollte sich auf dem süd- 
östlichen Kriegsschauplatze ergeben. General von Werder war nach 
der Einnahme Straßburgs südwestlich gezogen, hatte die Belagerung 
der starken Festung Belfort begonnen und nach heißen Gefechten 
Dijon, die alte Hauptstadt des ehemaligen Herzogtums Burgund, ein- 
genommen. Jetzt aber kam auf Gambettas Befehl Bourbaki mit 
140000 Mann von der Loire heran, Belfort zu entsetzen und dann 
durch das Tor zwischen Jura und Wasgenwald nach Süddeutschland 
einzubrechen. General von Werder räumte nunmehr Dijon und zog sich 
auf Belfort zurück, etwa 40000 Mann stark. Auf den Höhen hinter 
der Lisaine, westlich von Belfort, nahm er eine günstige Stellung ein. 
Hier kam es in den Tagen vom 15. bis 17. Januar zu einem furchtbaren 
Kampfe (Schlacht an der Lisaine); mit einem Heldenmute ohnegleichen 
wurden in den dreitägigen Gefechten, bei bitterer Kälte alle Angriffe 
des übermächtigen Feindes abgeschlagen; völlig erschüttert trat er den 
Rückzug an. Ganz Deutschland hatte mit der größten Spannung auf 
diesen Kriegsschauplatz geschaut, und alles atmete nun freudig auf. Indessen 
eute General Mantensfel an der Spitze einer neugebildeten deutschen 
Südarmee herbei, versperrte alle Wege nach dem Süden und drängte 
27*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.