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hatte zuletzt keinen Strumpf mehr an den Füßen und keine Sohle mehr an
den Schuhen. Am Ende geriet er gar noch unter die Werber, die ihn als
Rekruten nach Wien lieferten. Sie Üeßen ihn jedoch bald wieder laufen, da
sie merkten, daß er den Feinden nichts weniger als gefährlich werden dürfte,
denn er war sehr schwächlich und fast immer krank. Halbnackend kam er nun⸗
mehr nach Sachsen hinein, und weil er in seinem armseligen Aufzug nirgends
Arbeit fand, mußte er endlich betteln. Da traf es sich, daß er eines Abends
in einem Dorfe bei einem Schmied um einen Zehrpfennig ansprach. Dem
Meister welcher mit vier Gesellen arbeitete, fuhr die Stimme durch alle Glie⸗
der. Er sprang an die Thür, hielt dem Betiler das Licht ins Gesicht und
— „Je Bruder, bist du's, oder bist du's nicht?“ — rief er und erkannte in
ihm mit unbeschreiblichem Vergnügen seinen alten Freund. Da flossen nun
süßere Thränen als vor Warschau dort im Polenlande. Der Schmied, welcher
in diesem Dorfe eine reiche Witwe geheiratet hatte, brachte den matten,
frierenden Pilgrim in die Stube, legte ihm seine Sonntagskleider an, setzte
ihn in den Lehnstuhl am warmen Ofen, rief alle seine Leute zusammen und
sagte ihnen, das sei er, das sei der liebe Bruder Schneider, von dem er ihnen
so viel erzählt und dem er es nächst Gott zu danken habe, daß er nicht schon
lange in einem polnischen Kirchhofe faule. Die Meisterin, welche dem unbe⸗
kannten Wohlthäter ihres geliebten Ehegatten schon oft Gottes Segen auf
allen seinen Wegen gewünscht hatte, war zur Küche hineingesprungen, hatte
eiligst ihre Hand auf beiden Seiten abgetrocknet und sie unter den freundlich⸗
sten Grüßen dem werten Gaste hingestreckt. Sie eilte aber bald wieder
hinaus, um zwei fette Gänse abzuschlachten und ein festliches Mahl zu bereiten,
wozu sie ihre ganze Freundschaft läden ließ. Der Schmied aber rief einmal
über das andere: „Das soll mir ein Freudentag sein!“ und herzte und küßte
den treuen Kameraden, der noch immer ganz verstummt drein sah und die
Sprache nicht recht finden konnte.
Die Gänse wurden fertig, und der hungrige Schneider erinnerte sich
nicht, in vielen Jahren so prächtig gespeist zu haben. Dabei erzählte ihm der
Schmied seine seitherigen Schickfale, was dem Schneider wie die schönste Tafel⸗
musik klang, und nachdem dieser sich satt gegefsen, mußte auch er erzählen,
wie es ihm ergangen sei. Alle Anwesenden wurden gerührt und gewannen
den Fremdling bei seiner offenherzigen Erzählung so lieb, daß sie verlangten,
er sollte bei ihnen seinen Wanderstab niederlegen. Wer sehnte sich mehr nach
einem Plätzchen der Ruhe als unser lieber Schneider! Es frot ihn noch
wenn er an die Schneegestöber dachte, die er in manchem Winter hatte durch
fechten müssen. Mit Freuden ging er daher auf den von seinem dankbaren
Freunde gemachten Vorschlag ein, wurde auf alle Weise unterstützt, wurde
Meister im Dorfe, wurde der Mann eines tugendsamen Weibes und erfreute
sich des göttlichen Segens in so reichem Maße, daß er ohne allen Mangel
leben konnte.
So hatten es beide der Schmied am Schneider
Schmied, erfahren, was Sirach im 6. Kapitel soricht
„Ein treuer Freund ist ein Trost des Lebens
kriegt solchen Freund.“
Redenbacher.