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Das Grausen weht, das Wetter saus't,
Und aus der Erd' empor, huhu!
Fährt eine schwarze Riesenfaust;
Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu;
Hui! will sie ihn beim Wirbel packen;
Hui! steht sein Angesicht im Nacken.
Es stimmt und flammt rund um ihn her
Mit grüner, blauer, rother Gluth;
Es wallt um ihn ein Feuermeer;
Darinnen wimmelt Höllenbrut.
Zach fahren tausend Höllenhunde,
Laut angehetzt empor vom Schlunde.
Er rafft sich auf durch Wald und Feld,
Und flieht, laut heulend Weh und Ach;
Doch durch die ganze weite Welt
Rauscht bellend ihm die Hölle nach,
Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,
Um Mitternacht hoch durch die Lüfte.
Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn,
So rasch die Flucht ihn vorwärts reißt.
Er »ruß die Ungeheuer sehn,
Laut angehetzt vom bösen Geist;
Muß sehn das Knirschen und das Zappen
Der Rachen, welche nach ihm schnappen. —
Das ist des wilden Heeres Jagd,
Die bis zum jüngsten Tage währt,
Und oft dem Wüstling noch bei Nacht
Zu Schreck und Graus vorüber fährt,
Das könnte, müßt' er sonst nicht schweigen,
Wohl inanches Jägers Mund bezeugen.
Würger.
2. Der Sänger.
Was hör' ich draußen vor dem Thor,
Was auf der Brücke schallen?
Laß den Gesang vor unserm Ohr
Im Saale wiederhalleu!
Der König fprach's, der Page lief,
Der Knabe kam, der König rief:
Laßt mir herein den Alten!
Gegrüßet seid mir, edle Herrn,
Gegrüßt ihr, schöne Damen!
Welch' reicher Himmel! Stern bei Stern!
Wer kennet ihre Namen!
Im Saal voll Prachr und Herrlichkeit
Schließt, Augen, euch; hier ist nicht Zeit,
Sich staunend zu ergötzen.
Der Sänger drückt die Augen ein,
Und schlug in vollen Tönen;
Die Ritter schauten murhig d'rein,
Und in den Schooß die Schönen,
Der König, dem das Lied gefiel,
Ließ, ihn zu ehren für sein Spiel,
Eine gold'ne Kette reichen.
Die gold'ne Kette gieb mir nicht,
Die Kette gieb den Rittern,
Bor deren kühnem Angesicht
Der Feinde Lanzen splittern;
Gieb sie dem Kanzler, den du hast,
Und laß ihn noch die gold'ne Last
Zu andern Lasten tragen,
Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet;
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.
Doch darf ich bitten, bitt' ich eins:
Laß mir den besten Becher Weins
In purem Golde reichen.
Er setzt ihn an, er trank ihn aus:
O Trank voll süßer Labe!
O wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
Und danket Gott so warm, als ich
Für diesen Trunk euch danke.
Goethe.
3. Erlkönig.
Wer reitet so spät durch Nacht und
Wind?
Es ist der Barer mit seinem Kind';
Er hat den Knaben wohl in dem Arm',
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.
„Mein Sohn, was birgst du so bang dein
Gesicht?" —
„„Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön' und Schweif?" " —
„Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif." —