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III. Länder- und Völkerkunde. A Europa.
Bild zurückwirft, sondern dieses durch ihre Wogen auch noch bedeutend
hebt und verschönert. Und wirklich ist auch längs der ganzen sich lang
Hinziehenden östlichen Küste des Arms des mittelländischen Meeres, der
Italien von der griechischen Halbinsel trennt, das Grün der Citronen-,
Oliven- und Orangenbäume, so wie anderer südlicher Pflanzen, nir¬
gends so lachend, anhaltend und ausdauernd, als in der Gegend von
Castel-Nnovo. Kommt man jedoch aus dieser in der That paradiesischen
Gegend in die eigentliche Bucht von Cattaro, so ändert sich plötzlich
die ganze Scene; ringsum thürmen sich Felswände von 4-—5000
Fuß Höhe auf, die steil ins Meer hinabfallen, überall schwarze Schlünde
und Abgründe zeigen und deren Gipfel bis in den Sommer hinein mit
Schnee bedeckt sind.
Gleichwie in den Widersprüchen des Landes und der Pflanzenwelt
findet man deren auch bis zum heutigen Tage in den Sitten, dem Le¬
ben der Einwohner der cattarischen Gegend. Sie sowohl, als auch ihr
Umkreis dient einem serbischen Stamm zum ausschließlichen Wohnsitz,
und außer der unter den Beamten gewöhnlichen italienischen Sprache
hört man daselbst keine andere; in den Niederungen jedoch treffen wir
auf zahlreiche und in die Augen springende Unterschiede, so daß man
sich in eine andere Welt versetzt glaubt und denkt, man trete ans dem
von Zeit und Ereignissen unberührt gebliebenen Alterthum in ein Land
unserer Tage. Im Küstenlande erheben sich fröhliche Städte, blühen
Handel und Wandel; wo das Auge hinblickt, trifft es auf prächtige
Paläste und Sommerhäuser, die von Seeleuten betvohnt werden, denen
die Küsten Frankreichs und Englands eben so bekannt sind, wie dieje¬
nigen von Nord- und Süd-Amerika. Deßhalb kann cs auch nicht ver¬
wundern, wenn uns hier ein nicht erwarteter Reichthum von Anschauung
gen und Gedanken entgegentritt, den sich der Bocchese, d. h. der Be¬
wohner des cattarischen Küstenlandes, mit seinem Schisse in allen
fünf Welttheilen gesammelt hat.
Treten wir aus dem kosmopolitischen Kreise der die Küsten bewoh¬
nenden Bocchesen in das Innere des Landes, zwischen die hohen Berge,
wo die Pflanzenwelt ihr elendes Leben dem Felsen abringen muß, die
vom Schnee verwehten Weiden dem Rindvieh und den Ziegen nur
elendes Futter geben und der Mensch auf den unfruchtbaren Feldern
kaum nothdürftig seine Nahrung findet. Hier hat das Volk denn auch
gleich eine andere, und zwar eine echt nationale Physiognomie. Da
gibt es Menschen von fast riesigem Wuchs, kräftige, rauhe, aber doch
schöne Gestalten mit cisenfestem Körper und einem Auge, in welchem
wilde Hartnäckigkeit funkelt. Sprache und Sitten sind bei ihnen noch
die nämlichen, wie zur Zeit, als Griechen und Römer mit ihnen ver¬
kehrten, und auch ihr Anzug sieht noch eben so aus, als wenn sie un¬
längst erst die Gegend um den Ararat verlassen hätten. Den Kopf be¬
deckt der mit einem Tuche in Gestalt eines Turbans umwundene oder
mit Pelz verbrämte rothe türkische Feß, Hals und Brust sind entblößt;
die übrigen Kleidungsstücke bestehen aus einem bequemen, kurzen Rock