56. Die Cainpagna selice. 
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Zu der Indolenz, die durch den Mangel an wohlgeordneten recht¬ 
lichen Verhältnissen erzeugt wird, zu der Trägheit und dem Schmutz, 
welche nothwendig aus der Mühelosigkeit des Lebens hervorgehen,^ kommt 
nun noch das Befreunden mit den Wirkungen der Erdbeben und Vulcane; 
das Befreunden mit dem Gedanken, das Haus, welches man bewohnt, den 
Garten, den man baut, morgen verschüttet, mit brennender Lava über¬ 
gössen zu sehen, oder selbst über Nacht unter einem Steinhaufen be¬ 
graben zu werden. Ungebildete Menschen werden entweder von der 
Furcht vor solchen Schreckbildern vertrieben werden, oder Sorg- und 
Gedankenlosigkeit wird ganz und gar Besitz von ihnen nehmen, und das 
Letztere ist bei dem Neapolitaner der Fall. 
55. Die Eampagna felire. 
(Nach Chr. Kapp, Italien.) 
Der Name des „glücklichen Gefildes", den dieser über Alles 
gesegnete Landstrich, selbst im Munde seiner Bewohner, führt, bürgt 
am sichersten für den unvergleichlichen Reichthum seines Bodens, der 
die geringe Arbeit alljährlich mit dreimaliger Aernte lohnt. Das ist 
in Wahrheit das Land, wo Wein und Oel fließt. Die Rebe ist hier 
nicht mehr das niedrig sprossende Gewächs, sondern ein starkstäinmigcr 
Baum, dessen Aeste hoch über die Ulmen hinauftreiben, die ihm zur 
Stütze dienen. Die Ueppigkeit Campaniens ist von weltgeschichtlichem 
Interesse, denn ans diesem Boden war es, wo die wilden Horden afri¬ 
kanischer Beduinen, die kriegerischen Celtibcrier und die rauhen, wie 
Polybios sie nannte, „schwerbeweglichen" Celten verweichlichten, die 
der karthagische Hannibal zum Schrecken Roms über die Eisfelder der 
Alpen geführt. 
Schöne Ansichten gewährt dieses Frnchtland indessen keineswegs. 
Sogar die Ströme sind durch den fetten Boden getrübt, den sie durch¬ 
fließen, so der Vulturnus, so der Liris bei den Ruinen des alten Min- 
turnae, den jetzt die Italiener Garigliano nennen. Capua, Aversa, Ea- 
serta liegen in der Ebene, znm Theil an kahlen, abgedorrten Hügeln. 
Das prächtige königliche Lustschloß zu Caserta hätte in jener Umge¬ 
bung fast in keine gleichgültigere Gegend gebaut werden können. 
Ueber einen kleinen Hügelrücken die Strada Nuova hinabführend, 
erblickt man zuerst das majestätische Neapel. Eine Landschaft wie diese, 
so in Allem ein Ganzes, hat die Natur kaum wieder hervorgebracht; 
auf dem Runde der Erde ist keine bekannt, die ihr bestimmt vorge¬ 
zogen werden könnte. In Italien kennt man einen enthusiastischen sprich¬ 
wörtlichen Ausruf, der dies darstellen soll: Neapel sehen und 
sterben! und Göthe sagte einst, daß der nie gänzlich unglücklich werden 
könne, dem die Erinnerung an Neapel geblieben. 
Die Italiener nennen den wunderschönen neapolitanischen Meerbusen
	        
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