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III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. 
mehrere Leichname von Beraubten und Ermordeten gesunden wurden, 
ja, selbst am Hellen lichten Tage gehörten Raubanfälle auf offener Gasse 
in den älteren und einsameren Stadtvierteln keineswegs zu den Sel¬ 
tenheiten. Dabei starrten die Gassen selbst in den neuen Stadttheilen 
von Schmutz uud Uuflath, indem der Abfall der Küchen, todte Katzen, 
Hunde, Ratten, Mäuse, Vögel, Fische u. s. w. und aller Unrath der 
Häuser, fester wie slüssiger, aus die Gassen geworfen wurde und Nie¬ 
mand daran dachte, dieselben zu reinigen. Dort begünstigte die Sonnen¬ 
hitze die Fäulniß der animalischen Stosse, und viele Gassen waren da¬ 
her häufig mit pestilenzialischem Gestante erfüllt und der Heerd typhöser 
Fieber. Zu diesen Uebelständen gesellte sich ein Heer von herrenlosen, 
halbwilden Hunden, die sich in den Gassen herumtummelten, wo sie 
von dem Abfalle der Häuser sich ernährten, und Niemand dachte daran, 
diese Bestien zu entfernen, da sie allein es waren, welche die Gassen 
bis zu einem gewissen Grade von Unrath reinigten. Zu Ansauge die¬ 
ses Jahrhunderts schätzte man die Zahl der herrenlosen Hunde auf 
60,000! Noch jetzt ist es nicht gelungen, dieselben ganz zu entfernen, 
doch hat sich ihre Zahl bedeutend verringert, so daß dieselbe nicht mehr 
als einige Tausende beträgt. Sie ganz zu entfernen, wird unmöglich 
sein, so lange in den alten und vom Proletariat bewohnten Stadttheilen, 
die noch immer sehr schmutzig sind, nicht gewaltsam eine Aenderung des 
Zustandes herbeigeführt wird. Die neueren Stadttheile sind jetzt ziem¬ 
lich reinlich und die Unsicherheit der Gassen hat fast ganz aufgehört, 
seitdem durchgängig eine gute Beleuchtung und eine bewaffnete, zahl¬ 
reiche Straßenpolizei, die bei Nacht in den verdächtigen Stadttheilen 
patroullirt, eingeführt worden ist. Auch das Proletariat ist jetzt nicht 
mehr so schreckenerregend wie früher, wo die Hälfte der Einwohnerzahl 
aus Proletariern bestanden haben soll, von denen mindestens ein Zehn¬ 
theil ein herrenloses Gesindel ohne Dach und Fach war, das keinen 
andern Wohnort hatte als die Gasse, und kein anderes Geschäft als 
unstätes Herumlungern. Aber noch immer ist Lissabon der Sammelplatz 
des Abschaumes der portugiesischen Nation und alles fremden Gesin¬ 
dels und die einzige Stadt der pyrenäischen Halbinsel, die ernste socia¬ 
listische oder communistische Bewegungen zu besorgen Ursache hat. Es 
gibt daher hier auch ein Heer von Bettlern. Unter den Mittelclassen der 
Bevölkerung Lissabons herrscht ziemlicher Wohlstand und mehr Bildung 
als im ganzen übrigen Portugal, Oporto ausgenommen; die höheren 
Stände zeichnen sich durch feine Weltsitte aus, sind aber entsetzlich 
demoralisirt. 
Lissabon besitzt keine eigentlichen Vorstädte, indem die äußeren Stadt¬ 
theile, die vor dem Erdbeben die Vorstädte bildeten (Alcántara, Bclem, 
Junqucira, Bemposta u. a.), jetzt unmittelbar mit dem Centrum der 
Stadt zusammenhangen und in entgegengesetzter Richtung ganz allmählig 
in den breiten Gürtel von Landsitzen übergehen, welcher die Hauptstadt 
Portugals schon in einer Entfernung von mehreren Meilen ankündigt 
und das Gebiet von Lissabon (termo àe Lisboa) bildet. Lissabon hat
	        
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