111. Die Sudeten mit dem Riesengcdirge.
391
glückliche Bergluft. Furchtbares, Gewaltiges, Erhebendes paart sich hier
mit dem Anmuthigen und Freundlichen; überall wird der Wanderer
aus einer Gleichgültigkeit gegen die Reize der Natur, wie sie wohl
durch das Leben auf einförmiger Ebene sich angewöhnt, selbst unwill¬
kürlich aufgeregt. Dazu kommt die regsame Belebtheit, welche die Su¬
deten der menschlichen Thätigkeit verdanken. Denn selbst auf den höchsten
Kämmen jodelt der Hirt und läutet das weidende Vieh, aus den dunk¬
len Waldgrüuden dampft die Glashütte und klirrt der Eisenhammer,
und wie erst regt sich's in den Thälern, wo Dorf an Dorf sich reiht
und der mühsame Landmann der steilsten Lehne eine geringe Aernte
abzwingt.
Das Riescngebirge, der höchste Theil der ganzen Sudetenkette,
trennt Nicderschlesien von Böhmen. Der Theil, welcher insbesondere
„Riesengebirge" genannt wird, beginnt beider Tafelfichte und endet
beim land shuter Gebirge. Diese Gebirge sind Urgebirge, deren
Hanptbcstandthcil Granit ist, welcher mit Schiefer und Kalkstein, Gneis,
Glimmer und Hornblende abwechselt. Basalt kömmt selten vor. Nicht
so gigantisch wie die Alpen, erreicht ihre höchste Spitze — die Koppe
— 4990 F. über der Meeresfläche, beinahe die ewige Schnceregion,
weßhalb es auch das Schncegebirge genannt wird, da cs die größere
Hälfte des Jahres mit Schnee bedeckt ist und dieser in den tieferen
Schluchten auch während des Sommers nicht schmilzt. Von der schlesi¬
schen Seite gewährt es eine höchst malerische Totalansicht, deren Formen
nur im Einzelnen wild und grotesk erscheinen; von der böhmischen
Seite ist die Totalansicht weniger malerisch, doch gibt es einzelne ro¬
mantischere, ja, idyllische Partieen. Keine gewaltigen Ströme stürzen
hier von den Gipfeln herab, keine Seen, die Augen der Landschaft,
verschönen die Gegend, wie dies in der Schweiz und in Tirol der Fall
ist; nur die beiden Teiche sind zu nennen, können aber auf die Be¬
nennung von Seen keinen Anspruch machen. Aber Tausende von Berg¬
wässern, silberne Quellen brechen ans Höhen und Schluchten, aus
Felsen und Waldesgründen hervor und durchrauschen die Thäler und
Hochebenen. Fast an jeder Bande schlängelt sich ein Bach vorüber,
und der Mensch hat sich darum auch hier, sei's in unfreundlicher, schwer
ersteiglichcr Höhe, seine Hütte gebaut, wo es ihm an dem nothwendigen
Elemente nicht gebricht, wo seine Thiere auf frischer Weide Futter und
kühlen Labetrunk finden. — Von den Flüssen, die hier in bescheidener
Kindheit auftreten, aber baldigst erstarken, ergießt sich die Elbe, Jser
und Anpe nach Süden, der Zacken und die Bober nach Norden.
In den tieferen Thälern und Ebenen gedeihen alle Getrcidearten, auf
den Wiesen und Gründen wachsen die köstlichsten Kräuter, die Mitte
der Berge umgürten Wälder aller mitteldeutschen Holzarten, weiter
hinauf gibt es nur Knieholz, und ganz oben findet man nur Moos,
dürftige Gräser und unscheinbare Blümchen (Tenselsbart u. s. w.).
Die Bewohner der Sudeten sind ihrer Abstammung nach Sla¬
wen und Deutsche. Die Mundart der Slawen ist die böhmische und