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„Es wäre mir übel gefehlt, wenn ich so viel brauchte. Mir muss ein
Drittheil davon genügen, mit einem Drittheil zahle ich meine Schul¬
den ab, und das übrige Drittheil lege ich auf Kapitalien an". Das
war dem guten Fürsten ein neues Räthsel. Aber der fröhliche Land¬
mann fuhr fort und sagte: „Ich theile meinen Verdienst mit meinen
armen Eltern, die nicht mehr arbeiten können, und mit meinen Kin¬
dern, die es erst lernen müssen; jenen vergelte ich die Liebe, die sie
mir in meiner Kindheit erwiesen haben, und von diesen hoffe ich, dass
sie mich einst in meinem Alter auch nicht verlassen werden". War
das nicht artig gesagt, und noch schöner und edler gedacht und ge¬
handelt? Der Fürst belohnte die Rechtschaffenheit des wackern
Mannes, sorgte für seine Söhne, und der Segen, den ihm seine ster¬
benden Eltern gaben, wurde ihm im Alter von seinen dankbaren
Kindern durch Liebe und Unterstützung redlich entrichtet.
129. Dcr deutsche Jägerbursche.
Ein in Polen wohnender, deutscher Unterförster sandte eines
Abends seinen Sohn, einen vierzehnjährigen Burschen, auf ein benach¬
bartes Dorf. Als der Knabe wieder nach Hause ging und kaum noch
300 Schritt von der väterlichen Wohnung entfernt war, sah er etwas
auf dem Wege sitzen, das er Anfänglich für einen Hund hielt. Der
Mond warf sein falbes Zieht auf den Weg; der Schnee flinkerte;
es war eine entsetzliche Kälte. Der Bursche trat noch einige Schritte
vorwärts und erkannte einen Wolf. In der Jugend hatte er oft er¬
zählen hören, dass, wenn man von einem Bären verfolgt werde, es
rathsam sei, sich auf7die Erde zu werfen und sich todt zu stellen. In
der Angst verwechsRte er dies, meinte, sein Leben sei auch gegen den
Wolf auf diese DMe gesichert und warf sich platt auf die Erde. Der
Wolf näherte sich augenblicklich mit langsamen, bedächtigen Schritten,
stand vor ihm still und schnoberte forschend. Der Bursche rührte
kein Glied. Jetzt umging ihn der Wolf, stand^ann unten bei den
Füßen still und sing an, ihn zu beriechen uäfc hier und da mit der
Schnauze zu bestoßen. Ueberall traf er auf Kleioungsstücke. Er rückte
immer höher und höher nach dem Kopfe herauf und kam an's Genick,
an das erste Fleisch. Er leckte, er schnoberte und kniff mit den Lip¬
pen (das Wasser lief ihm dabei aus dem Rachen) dem Burschen in
die Halsbinde. Das Lecken wurde lebhafter, das Schnobern heftiger,
gieriger. Der Wolf trat jetzt mit einem Fuße über, so dass er den
Hals des Burschen zwischen seinen Vorderklauen hatte.
,/Jetzt Tod oder Leben!" dachte der Bursche. Schnell wie der
Blitz fasste er den Wolf bei beiden Vorderklauen und zog ihn fest an
sich, dass er nicht Raum genug behielt, um mit den Zähnen ein¬
greifen zu können. Die Schnauze lag dicht an der linken Backe des
Burschen, die scharfe Zunge hing neben dem Munde des letztem; der