440 III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa.
Waisenhäuser, Armenhäuser und selbst die Polizei in seinem Bereich
liegen, wie auch die Dörfer, die nach Norden und Süden seine Aus¬
läufer bilden, Moabit nnd Stralau, vorzugsweise den Belustigungen
des Volks gewidmet sind.
Die weite Entfernung des Bewohners der Königsstadt vom Thier¬
garten als der berliner Knnstnatur hat in neuerer Zeit den Gedanken
hervorgerufen, auch auf der Ostseitc eine große Parkanlage für das
Volk zu begründen, ähnlich wie in Paris der östliche Park von Vin-
cennes den Pendant zu den nordwestlichen elysäischen Feldern und dem
Gehölz von Bonlogne als dem pariser Thiergarten bildet. Dies ist der
Friedrichshain vordem Landsberger Thore. Das Terrain des
Friedrichshaines ist hügeligt und gewährt einen wunderschönen Aus¬
blick auf die tiefer liegende' Stadt. Eine Büste des alten Friedrich
mit seinem dreieckigen Hut schauet zufrieden von einer Anhöhe auf
dieselbe hin.
Ein ganz anderes Bild als dieser wesentlich productive, gewerbsame
nordöstliche Stadttheil bietet der südwestlich von der Spree gelegene
dar, welcher wieder in die Neustadt oder Dorotheenstadt, die Friedrichs¬
stadt, die Friedrichsvorstadt, das Köpeuikerfeld und den Thiergarten
zerfällt; Alles hat hier einen modernen Anstrich: schnurgrade, sich in
rechten Winkeln kreuzende Straßen, die Häuser mit gleichmäßig hohen
Fronten und in demselben gefälligen, aber bedeutungslosen und das
Auge des Wanderers ermüdenden Baustil. Unter diesen znm Verwech¬
seln ähnlichen Straßen, die den Fremden leicht in Verwirrung bringen,
zeichnen sich, nächst der durch ihren lebhaften Verkehr an die alte
Königsstraße in der nordöstlichen Stadt erinnernden Leipziger Straße,
die Linden aus.
Die berliner Linden sind oft mit den pariser Boulevards ver¬
glichen, allein bei diesen wird in der Mitte gefahren und geritten und
die Fußgänger sind auf die Schrittfteine des Bürgersteiges zu beiden
Seiten beschränkt. Hiervon ist die Folge, daß das Meuschengewimmel
an den Häusern ganz außerordentlich, oft wahrhaft berauschend ist und
daß die Menschen den Sehenswürdigkeiten der Lüden viel näher gedrängt
werden. Die berliner Linden dagegen haben eine fünffache Theilung.
In der Mitte ist eine breite nur den Spazirgängern gewidmete Allee.
Neben dieser läuft zu beiden Seiten ein Weg für Wagen und Reiter,
den abermals Banmreiheu garniren, und dann erst folgt der sehr breite
Bürgersteig, auf dem gleichfalls, mit Ausnahme der schmalen Trottoirs,
gefahren und geritten wird. Durch diese Einrichtung kommt cs, daß
die Menge sich sehr zerstreut und das Ganze stundcnweis sehr todt er¬
scheint. Ein anderer Unterschied der Linden von den Boulevards ist der,
daß diese sich auf der Nordscite durch viele, sehr mannichfach wech¬
selnde Stadtviertel bald gerade, bald in Winkeln in dem ungeheuren
Umfang vom Bastilleplatz bis zur Madeleinekirche hinziehen und den
Spaziergänger mit dem Gefühl der Unendlichkeit erfüllen, indem nicht
nur die Perspective bei jedem Schritt sich ändert, sondern auch von