293. Der Sinai. 
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293. Der Sinai. 
(Nach Gotthilf Heinrich v. Schubert, Reise in das Morgenland in den 
Jahren 183G nnd 1837.) 
Am 2. März, bald nach Sonnenaufgang, machten wir uns auf zum 
Besteigen des Sinai. Der ehrwürdige Prior hatte es sich nicht nehmen 
lassen; er wollte uns selber auf dem Wege geleiten. Der Greis mit 
seinem Wanderstabe ging voran; eine Schaar der Beduinen, welche die 
Lorräthe des frischen Brodes, der Datteln nnd eingesalzenen Fische, so 
wie eine Flasche mit Racki trug, folgte uns nach. Nahe beim Kloster, 
in einer Bergschlncht an der nordöstlichen Seite des Horeb, steigt man 
aus jenen, zum Theil verfallenen Stufen empor, welche schon die fromme 
Kaiserin Helena oder doch Kaiser Justinian zur Bequemlichkeit der Pil¬ 
grime anlegen und cinhaucn ließen. Zn beiden Seiten erschienen die 
zum Theil prnnklosen, meist aber gewnrzhaften Gewächse des arabischen 
Felsenlandes; doch das Auge hatte jetzt keine Zeit, sie zu sehen. Bei 
der Quelle des heiligen Sangarins, in der Grotte, am klaren, frischen 
Wasser ruhten wir aus, denn wir waren vom Kloster aus hieher schon 
920 Fuß, mithin zweimal so hoch gestiegen, als die größestc der Py¬ 
ramiden zu Ghizeh oder als der Münsterthurm in Straßburg einpor- 
ragt. Diese Quelle, so erzählt die fromme Sage des Klosters, ward 
zur Erquickung seiner Bewohner, deren Bedürfniß das Wasser der Ci- 
stcrncn einst in dürrer Zeit nur spärlich befriedigte, durch das Gebet 
des frommen Abtes Sangarins eröffnet und gesunden. 
Die Schlucht verengert sich nun, das Ansteigen auf den oft ganz 
ausgebrochenen Stufen und Felsblöcken wird mühsamer. Endlich ge¬ 
langt mau zu einer Gebirgsplattc, auf welcher, im Schatten der Cyprcsse, 
ein gemauerter Brunnen steht, und hier ist man auf der Höhe des im 
engeren Sinnes sogenannten Horeb, von welchem der Sinai eigent¬ 
lich nur der südöstliche, höher ansteigende Gipfel ist. Dort in der 
Felsenhöhle war die Stätte, dahin Elias der Thisbite zu dem Ange¬ 
sicht Gottes sich rettete, als Ahab und sein abgöttisches Weib Jcsabcl 
mit blutdürstigem Zorne ihm nach dem Leben stunden*) **). 
Wir ruhten ziemlich lange am Brunnen des Elias, unter der ho¬ 
hen Cypresse, und besahen dann das meist verfallene Kirchlein der 
Eliasgrotte, so wie die Trümmer eines kleinen Klosters, welches auch 
hieher die Andacht der Mönche erbaut hatte. Die Höhe des Horeb 
bei dem Eliasbrunnen mißt 6120 Fuß über dem Meere; 1400 Fuß 
über dem Thal des Klosters. 
Am Saume der Gebirgsplattc der Horebhöhe steigt der eigentliche 
Sinai au, dessen Gipfel noch 900 Fuß höher ragt, als die Gegend 
*) Im weiteren Sinne wird unter dem Namen Horeb in der heiligen Schrift 
offenbar die ganze Gebirgswüstc der Umgegend des Sinai verstanden. 
**) 1. Kön. C. 19.
	        
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