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gesetzte Strafe züchtigt ihn für verübtes Unrecht, und daher läßt er sich
gehen, wie es seine Neigungen und Leidenschaften gerade verlangen. Er
kennt überhaupt keine anderen Pflichten gegen die Gesellschaft, als die
des Familienbandcs und der Verwandtschaft.
In diesem Zustande gibt es nur eine einzige religiöse Einrichtung,
welche mächtig genug ist, muthwillige Beeinträchtigungen des Eigenthums
zu verhindern und verderblichen Aus-brüchen der Leidenschaften Grenzen
zu setzen. Diese ist das Tabu, welches als gebieterischer Ansspruch
der Gottheit betrachtet und von den Priestern als deren Dienern in
Wirksamkeit gesetzt wird. Der ursprüngliche Zweck desselben ist ohne
Zweifel der Schutz des Eigenthums, dieser Grundlage jeder bürgerlichen
Gesellschaft, gewesen.
Das Tabu wird von den Priestern angeordnet, die sich darüber
wahrscheinlich mit den Häuptlingen einverstehen. Es ist in jedem Thalc
und bei jedem Stamme von anderer Beschaffenheit. Auch wird cs bei
jeder feierlichen Veranlassung, beim Tode eines Häuptlings u. dgl., cr-
ueuert und abgeändert. Die Beschränkungen, die es auferlegt, sind eben
so streng, als zum Theil höchst sonderbar. Die Umgebung eines hei¬
ligen Ortes, das Haus eines Häuptlings, die zu besonderen Festen be¬
stimmten Gebäude, die Morais, so wie alles Eigenthum der höheren
Klassen ist für die niederen Klassen tabu.
Einer der wichtigsten Einflüsse des Tabu offenbart sich zu gewissen
Jahreszeiten, wo allgemeine große Volksfeste Statt finden. Jedes Thal
hat seine eigenen Feste dieser Art, und so lange sie dauern, gebietet ein
feierliches Tabu, den Fremden, die daran Theil nehmen und selbst von
den benachbarten Inseln herbeiströmen, durchaus kein Leid zuzufügen.
Es herrscht dann ein allgemeiner Waffenstillstand, und Feinde sitzen hier
vertraulich beisammen, die sich in wenig Tagen bekämpfen werden.
Obschon die Eingeborenen fast nackt gehen, so haben sie doch, un¬
abhängig von der Tättowirung, eine Menge Schmuck an sich, und zwar
ist dies, im Widerspruch mit dem, was bei anderen Völkern Statt
fkndet, mehr bei den Männern als bei den Weibern der Fall. Für
gewöhnlich besteht die Kleidung nur in einem schmalen Schurz, von
einem aus der zarten Rinde des Maulbeerbaums verfertigten Zeuge,
den sie um die Hüften tragen; an festlichen Tagen aber schmücken sich
die Krieger das Haupt mit einem Kranze von wallenden Federn; eine
Art Visir, mit kleinen rothen Früchten bedeckt, umgibt die Stirn, und
ein ähnliches Band den Hals. In den Ohren stecken kleine, aber breite
und weiß bemalte Stückchen Holz, oder auch Schweinzähne und Mu-
schelschaalen, während eine Schnur von kleinen Stückchen Menschcn-
knochen, die das rohe Bild des Kriegsgottes darstellen, auf die Brust
herabhängt. Armbänder von Haarbüscheln, welche von erschlagenen
Feinden herrühren, umschließen die Handwurzeln und Fußknöchel, oft
auch den Leib. Ein kurzer weißer Mantel, der die Brust bloß läßt,
flattert im Winde, während der Krieger, seine Keule auf der Schulter,
rasch einherschreitet und von Zeit zu Zeit stehen bleibt, um aus einer
Pütz, Charakteristiken zur vergleichenden Erdkunde. II. 46