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Frankreich. 
oder das unbegranzteste Mißtrauen, ist fein und verschmitzt, und 
versteht unter anscheinend offener Derbheit die größte Falschheit zu 
verbergen. Zum Zorn und überhaupt zu heftigen Gemüthsbewe¬ 
gungen ist er leicht reizbar. Im ersten Augenblicke ist sein Zorn 
eine unlöschbare Flamme, die hoch und plötzlich aufflackert; aber er 
laßt sich auch leicht wieder besänftigen; man kann seine Freundschaft 
bald gewinnen, aber auch eben so bald wieder verlieren. Seine Tapfer¬ 
keit hangt sehr von den Umstanden ab; je nach Gelegenheit ist er 
unerschrocken oder feig. Seine Fröhlichkeit ist ungezwungen, vom 
Herzen fließend und eine Folge seines jovialischen Temperaments, 
artet aber oft in Thorheit aus. Das Unglück vernichtet den Süd¬ 
franzofen und der geringste günstige Wind blast ihn wieder mit 
übertriebenen Hoffnungen auf. Geist, Phantasie und Thatkraft 
besitzt er; lauter Eigenschaften mit denen der Nordfranzose nicht 
so reichlich versehen ist, der aber dafür einen schönen Sinn für 
Ordnung hat, der dem Südfranzosen fehlt. 
So wie die Franzosen überhaupt viele Liebe zur Bequemlich¬ 
keit und Geschmack besitzen, so suchen sie auch beide in ihren Woh¬ 
nungen zu vereinigen, die in den Städten größtentheils hübsch, gut 
eingerichtet und geschmackvoll ausmöblirt sind; auf dem Lande hin¬ 
gegen sieht es in vielen Gegenden in dieser Hinsicht äußerst kläg¬ 
lich aus. Doch halt in der Regel der Französische Bauer auf ein 
gutes Bette, das zugleich sehr breit und hoch seyn muß. Kein ho¬ 
hes Bette zu besitzen gilt bei dem Bauer für ein Zeichen von 
Armseligkeit. Reinlichkeit ist eine Tugend, die von dem Franzosen 
in großen Ehren gehalten wird, und die er beständig im Munde 
führt; demungeachtet wird sie aber der Sucht zu glanzen und zu 
gefallen nachgesetzt und überhaupt in den südlichen Gegenden sehr 
vermißt. Die Gegend Frankreichs, welche sich am meisten der Eng¬ 
lischen und Holländischen Reinlichkeit nähert, ist die Normandie 
oder die jetzigen Depart. Niederseine, Eure, Calvados, la Manche 
und Orne. Den Putz liebt der Franzose sehr, und diese Neigung 
herrscht durch alle Stande und Klassen; aber man muß nicht glau¬ 
ben, daß man in Frankreich, dem Vaterlande der Moden, der 
Mode so allgemein huldige, als es in andern Ländern geschieht, 
sondern die Modewuth ist hier bei Weitem nicht so groß als das 
Ausland glaubt. Die Jugend freilich in den größern Städten 
ändert hier wie überall ihre Kleidung nach den Launen der Mode, 
die von Paris ausgeht, und die das Muster ist, wonach sich grö߬ 
tentheils alle Leute von Stand und Geschmack in beinahe ganz 
Europa kleiden. Eine allgemeine Nationaltracht giebt es nicht, 
aber doch haben die gemeinen Bürger und die Bauern ihre ganz 
eigene Tracht, welche nach den Provinzen verschieden ist, und in 
jeder mit unabweichlicher Allgemeinheit herrscht. In vielen Ge¬ 
genden verfertigen sich die Landleute fast alle Stoffe zu ihrer im 
Allgemeinen ärmlichen und geschmacklosen Kleidung. Sehr gewöhn-
	        
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