Das Erdbebenkonzil.
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redsamfeit, die ebenso durch den Ernst des Inhalts wie durch den Glanz des Vortrages
ausgezeichnet war, so daß alle nicht einen Menschen, sondern einen Engel des Himmels zu
hören glaubten. Wirklich wollten manche die Engel während der Rede um ihn geschäftig
erblickt haben. Seine ganze Predigt war auf die Heilige Schrift und das Zeugnis Heiliger-
Männer begründet. Er sprach kaum jemals, ohne seinen Zuhörern Tränen zu entlocken;
wenn er vom jüngsten Gerichte, von den Leiden des Herrn oder den Höllenstrafen redete,
brach alles Volk in ein solches Schluchzen aus, daß er oft lange inne halten mußte. Vielen
erschien an ihm wunderbar, daß ihn viele von seinen Zuhörern, die sehr weit von ihm ent¬
fernt stehen mußten, doch nicht weniger deutlich verstanden. Auch die Gabe der Sprachen
hatte ihm Gott gegeben. Obwohl er nämlich so viele Länder durchzog und immer in seiner
Muttersprache, dem Dialekt von Valencia, redete, verstanden ihn doch alle, als redete er in
ihrer Sprache. In Genua hörten ihn Griechen, Deutsche, Sarden, Ungarn und andere, die
nur ihre Muttersprache kannten und doch am Ende der Predigt laut Zeugnis gaben, wie sie
jedes Wort verstanden hätten. Seine Lehre bekräftigte er durch viele ausgezeichnete Wunder.
Welche Macht er über die Gemüter besaß, bewies er besonders in der Dauphine, wo er sich
furchtlos in ein Tal begab, das nur von Räubern, Mördern und losen Gesellen bewohnt
war, welche schon viele Prediger ermordet hatten. Nach wenigen Tagen hatte er diese Ver¬
brecher so umgewandelt, daß man das Tal, das zuvor Unflattal geheißen, Reintal nannte.
So gab der Herr in der Erscheinung dieses wunderbaren Mannes den Völkern mitten
unter den Ärgernissen des Schismas ein lebendiges Zeugnis seines Waltens. Ferrerius starb
am 5. April des Jahres 1419 zu Vannes in der Bretagne. Papst Calixtus III. hat ihn im
Jahre 1455 heilig gesprochen.
Wicles und Johann Kus.
Wiclef (1324—1384) gehörte zu jenen Männern, welche voll Schmerz über Mängel
in der Kirche und in bester Absicht eine kirchliche Reform anstrebten, aber leider den rechten
Weg zum Ziele verfehlten. Er wollte ohne Rücksicht auf die Veränderungen der Zeit die
apostolische Armut wiederherstellen und allen Stufen des Klerus den Besitz irdischer Güter
strengstens verbieten. Dadurch wurde man bei Hof auf Wiclef aufmerksam. Unter dem
26. Juli 1374 wurde er zum Mitglied der königlichen Gesandtschaft ernannt, welche zu
Brügge mit Nuntien Gregors XI. unterhandelte, um der päpstlichen Vergebung englischer
Benefizien Schranken zu setzen. In der Bestallungsurkunde wird er sacrae theologiae professor
genannt. Herzog Johann von Gent-Lancaster, der Sohn Eduards III., verschaffte ihm neben
seiner Professur die einträgliche Pfarrei Lutterworth in der Grafschaft Leicefter 1374. Fortan
benützte Wiclef Kanzel und Katheder zu heftigen Angriffen auf das Papsttum, den „Anti¬
christ und Gelderpresser", wie er den Papst nannte; auf die zeitlichen und trdifchen Güter
der Kirche, auf die Bettelmönche und den Klerus. Durch seine Predigten und die Bibel¬
übersetzung gewann er das Volk und die Gemeinen im Parlamente. Die Bemühungen der
Päpste wie der Bischöfe, ihn zur Ordnung zu bringen, scheiterten an der Gunst Richards II.,
des Adels und des Volkes. Er verwarf die kirchliche Autorität, erklärte die Heilige Schrift
als alleinige Glaubensquelle, leugnete die Freiheit des Willens, verteidigte die absolute Prä¬
destination und griff den Mittelpunkt alles geistigen Lebens im Christentum, das Altars¬
sakrament, an. Als die geistlichen Obern seine Irrlehren verurteilten und der König ihn
aus das Urteil des sogen. Erdbebenkonzils von London 1382 hin vom Lehrstuhle entfernte,