;r Teutschland.
aus nicht heben, oder wir müßten dem größten Theil
unsrer Polizirung entsagen; und unsre ächten Ratio-
ualfttten sind nur uoch in einzelnen Provinzen, und
auch da nur Stückweise anzutreffen. Ueberhaupt ge¬
nommen besindet ßch unser ganzer Geifteskarakter feie
einiger Zeit in einer gewaltigen Gahrung, welche in
vielen Stücken sehr heilsam zu werden scheinet, und,
wenn wir so auf dem Wege fortgehen, uns vrele ei¬
gene Karakterzüge wiedergeben nröchte. Die Vater¬
landsliebe, dieses so heilige Band der Staaten, deren
Teutschland, freylich unter so verschiedene Regierun¬
gen vertheilt, nicht in ihrem ganzen Umfange fähig
ist, regt sich doch hie und da einigermaßen wieder,
nachdem wir uns lange Zeit unsers Vaterlandes ge¬
schämt haben; die höhern Stände, durch das Bey-
spiel weiser Regenten belehret, sangen au, denVorur-
theilen, die sie von ihrem Range oft mir so vieler Un-
gestttetheit an den Tag legten, zu entsagen, und viele
unter ihnen zeichnen sich, so wie einst durch Unwissen- -
heit, Unthatigkeit und Stolz, durch große Kennt¬
nisse, Unterstützung rühmlicher Anstalten, und ein
menschliches Betragen aus. Die Gelehrten dünken
sich nicht mehr Allwisser zu feyn; der Kaufmann, der
Künstler, der Handwerker, selbst der Sandmann wird
aufgeklärter in seinen Begriffen, und wir haben
Frauenzimmer, die, ohne an häuslichen Tugenden
ihren Großmüttern nachzustehen, sie an Geist und
Talenten unsäglich übertreffen. Dies ist denn nun
wohl aber nur die Vorderseite von dem Gemälde
unsres heutigen Wertheö, denn, uin aufrichtig zu seyn,
müssen wir gestehen, daß des Bösen wenigstens eben
sowie! als des Guten vorhanden ist. Wer weiß es
nicht, daß in dem Bezirk einer Meile oft die heiterste
Aufklärung an den blödesten Aberglauben granzt, daß
die steifste Anhänglichkeit an hergebrachte Armselig¬
keiten mit der äußersten Sittenlosigkeit vereinigt ist,
daß