Metadata: Handbuch der Israelitischen Geschichte von der Zeit des Bibel-Abschlusses bis zur Gegenwart

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lehrte diese Blutklage für eine infame Verleumdung erklärt hatten, so hat sie 
doch noch vor 3 Jahrzehnten in Damaskus und Rhodus blutige Verfolgungen 
hervorgerufen, und wird noch in unserer Zeit in weniger civilisirten Staaten 
unter diesem Vorwande das Volk gegen die Juden gehetzt. 
Zu dem Morde der Christenkinder kam der blödsinnige Vorwurf, dass die 
Juden Hostien durchstochen und zerstampft hätten und dass wunderbarer Weise 
Blut in grosser Menge herausgeflossen sei, eine Anklage, welche wieder zuerst 
in Frankreich erhoben wurde. Der Hauptschauplatz der infolge dieser Be¬ 
schuldigung verübten Metzeleien ist Franken und Baiern. Unter dem Vorwande, 
die Juden in Rottenburg hätten eine Hostie mit dem Mörser zerstossen, zog der 
berüchtigte Rindfleisch mit seiner wilden Schar durch ganz Franken und 
richtete überall ein grauenerregendes Blutbad an. Die Verfolgung wälzte sich 
von Franken nach Baiern und Oesterreich und raffte innerhalb eines halben Jahres 
(April bis October 1238) in 146 Gemeinden über 100000 Juden fort; erst König 
Albrecht that ihr bei seiner Rückkehr von Aachen Einhalt. 
Um dieselbe Zeit als im Eisass, in Schwaben und Franken unter der An¬ 
führung zweier Herren, die sich von einem Riemen am Arm von Armleder 
nannten, 5000 Bauern unter den Juden jener Gegenden ein Blutbad anrichteten 
(1337), gab eine angebliche Hostienschändung in Deggendorf, einem Städtchen 
an der Donau, den erwünschten Anlass zu einer neuen Verfolgung, welche sich 
über Baiern, Böhmen, Mähren und Oesterreich ausdehnte. Auch diesmal fanden 
Tausende von Juden den Tod. Der Herzog von Oesterreich wandte sich im 
Jahre 1338 an Papst Benedict XII. und sprach es unverhohlen aus, dass die Ver¬ 
folgung der Juden unter dem Vorwand der Hostienschändung zum hauptsächlichen 
Zweck die Beraubung der Juden habe und dass Priester, um das Volk aufzuregen, 
an verschiedenen Orten Hostien mit Blut befleckt und in die Nähe von Juden¬ 
wohnungen hingeworfen hätten. 
Verheerender als die Verfolgungen, welche die Juden infolge der Be¬ 
schuldigung der Hostienschändung und Tödtung von Christenkindern erfuhren, 
war die, welche in den Jahren 1348 und 1349 stattfand. 
Als die unter dem Namen der schwarze Tod bekannte furchtbare Pest 
von Asien her über alle Länder Europas daher gezogen kam, da wurde die Be¬ 
schuldigung, welche zum ersten mal im Jahre 1319 in Frankreich erhoben war, 
überall laut: die Juden hätten die Brunnen, sogar den Rhein und die Donau 
vergiftet. Auch dieser Wahn wurde geglaubt, und zwar um so eher als die 
Juden infolge ihrer durch die Religionsgesetze bedingten Massigkeit und Ent¬ 
haltsamkeit weniger von der Seuche heimgesucht waren. Mit dem Fortschritt 
des schwarzen Todes ging die Judenschlächterei Hand in Hand. Zuerst wurde 
im Süden Frankreichs eine ganze Gemeinde, Männer, Frauen und Kinder, 
nebst den heiligen Schriften an Einem Tage verbrannt. Von da aue verbreitete 
sie sich nach Catalonien und Aragonien: in Barcelona und anderen Städten 
wurden Juden gemordet Vergebens erliess Papst Clemens VI. eine Bulle, in 
der er bei Kirchenbann das Tödten der Juden sowie gewaltsame Taufen und 
Plünderung untersagte; sie blieb ohne Wirkung. Das Gerücht von der Brunnen¬ 
vergiftung verbreitete ßich über Savoyen nach dem Genfersee über die ganze
	        
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