Full text: Vierunddreißig Lebensbilder aus der deutschen Litteratur

ZH. Joseph Viktor von Scheffel. 
459 
II. Zeugnisse 
Emanue 
Zur Zeit, da laute Zwietracht der Parteien 
die Lust durchhallte Deutschland auf und nieder, 
kamst du mit einem Frühling süßer Lieder, 
von Tageslärm die Seele zu befreien. 
Dir ward, was selt'ne Sterne nur verleihen, 
dein Lied klang in der Frauen Herzen wieder, 
und strebend schwangst du höher dein Gefieder, 
im Männerkampf stets in den Vorderreihen. 
anderer Dichter. 
Geibel. 
Neidlos und treu den Jüngern zugewendet, 
der hohen Kunst ein priesterlicher Hüter, 
sahst du im Sturme knospen schon die Reiser. 
Nun ward dein Ahnen wunderbar vollendet: 
die du geweissagt, unsre höchsten Güter, 
siehst du gewonnen: Freiheit, Reich und Kaiser! 
Paul H e y s e. 
34. Joseph Viktor von Scheffel 
ist am 16. Februar 1826 zu Karlsruhe geboren, wo sein Vater Major und Oberbaurat war. 
Seine Mutter war eine hochgebildete Frau, die ihr H^us zum Sammelpunkt der gebildeten 
Kreise machte und auch^ selbst schriftstellerisch thätig war. Neigung und Anlage zum Dichten sind 
also von ihr auf den Sohn übergegangen; dazu hat die schöne Natur seiner Heimat den poetischen 
Sinn des Knaben und Jünglings mächtig angeregt. 
Er selbst wollte am liebsten Maler werden, aber der strenge Vater bestand darauf, daß er 
die Rechte studierte. Schon als Student machte er sich durch humoristische Lieder bekannt, welche 
später in die Sammlung „Gaudeamus" aufgenommen worden sind. 
In Scheffel lebte auch der echt germanische Wandertrieb: den Schwarzwald, die reizenden 
Umgebungen des Bodensees hat er nach allen Richtungen, offenen Auges und empfänglichen Sinnes, 
durchwandert: deshalb finden sich auch später in seinen Dichtungen so prächtige, lebendige 
Schilderungen jener Landschaften. Aber auch in die Ferne, weit über Deutschlands Grenzen 
hinaus trieb es ihn, er hat Skandinavien bereist, ist in Südfrankreich gewesen und hat, nachdem 
er seine juristische Laufbahn gänzlich aufgegeben, mehrmals einen längeren Aufenthalt in Italien 
genommen. Von 1850 bis 1851 war er Rechtspraktikant in dem Städtchen Säkkingen, dessen 
wunderschöne Umgebung er fleißig durchstreifte. Dabei fand er einen alten Grabstein mit der 
Inschrift: „Hier ruht Herr Werner Kirchhofer, der einsten ein Trumpetter war, und seine Ehe¬ 
liebste Maria Ursula, geb. Freiin von Schönau." Weiter meldet der Stein, daß „beid' auf Erden 
schon den Himmel hatten", und daß „Maria nach kurzem Witwenleid ins Grab gefolgt dem 
Gatten." Dieser Stein gab Scheffel die erste Anregung zu seiner ersten größeren Dichtung, zu 
dem „Trompeter von Säkkingen", den er 1853 während seines ersten Aufenthaltes in Italien auf 
der, Insel Capri dichtete (I), 1). Im folgenden Jahre hielt ihn die Durchforschung alter Chroniken 
im Kloster von St. Gallen fest; die Frucht dieser Forschungen ist sein bedeutendstes Werk: 
Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert." (1855.) 
1856 und 57 lebte Scheffel in München, wo er ein eifriges Mitglied des dortigen Dichter¬ 
kreises war. Er hatte seine Schwester Marie, ein mit den herrlichsten Gaben Leibes und der 
Seele ausgestattetes junges Mädchen, zu sich gerufen — aber infolge des rauhen Klimas von 
München erkrankte j"ie_ und wurde durch einen plötzlichen Tod dahingerafft. Der Verlust dieser 
über alles geliebten Schwester hat ihn so gewaltig erschüttert, daß sein Gemüt verdüstert wurde, 
und er sich überhaupt nie wieder ganz davon erholte. München war ihm verleidet, er nahm die 
Stelle eines Bibliothekars in Donaueschingen an, legte aber das Amt wegen seiner wankenden 
Gesundheit 1859 nieder und begab sich auf Reisen. Einen Theil des Jahres brachte er in Weimar 
zu, wo er dem Großherzog sein Buch „Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens 
Zeit" widmete. 
Bald darauf ließ er sich dauernd am Gestade seines geliebten Bodensees nieder, wo er sich 
in der Nähe von Radolfszell ein Landhaus, „Die Seehalde" erbaute. Hier entstanden noch die 
Dichtungen „Juniperus, Geschichte eines Kreuzfahrers", „Bergpsalmen", worin er erzählt, wie der 
Bischof Wolfgang von Regensburg weltflüchtig wurde und eine Sommerzuflucht im Gebirge fand, 
und „Waldeinsamkeit". 
Sein fünfzigster Geburtstag gestaltete sich durch die Teilnahme von ganz Deutschland für ihn 
zu einem hohen Ehrentag, sein Landsherr erhob ihn in den erblichen Adelstand. In seinen 
letzten Lebensjahren wurde er von schwerer, furchtbar schmerzlicher Krankheit heimgesucht; von 
seinen qualvollen Leiden erlöste ihn ein sanfter Tod am 9. April 1886.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.