ZH. Joseph Viktor von Scheffel.
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II. Zeugnisse
Emanue
Zur Zeit, da laute Zwietracht der Parteien
die Lust durchhallte Deutschland auf und nieder,
kamst du mit einem Frühling süßer Lieder,
von Tageslärm die Seele zu befreien.
Dir ward, was selt'ne Sterne nur verleihen,
dein Lied klang in der Frauen Herzen wieder,
und strebend schwangst du höher dein Gefieder,
im Männerkampf stets in den Vorderreihen.
anderer Dichter.
Geibel.
Neidlos und treu den Jüngern zugewendet,
der hohen Kunst ein priesterlicher Hüter,
sahst du im Sturme knospen schon die Reiser.
Nun ward dein Ahnen wunderbar vollendet:
die du geweissagt, unsre höchsten Güter,
siehst du gewonnen: Freiheit, Reich und Kaiser!
Paul H e y s e.
34. Joseph Viktor von Scheffel
ist am 16. Februar 1826 zu Karlsruhe geboren, wo sein Vater Major und Oberbaurat war.
Seine Mutter war eine hochgebildete Frau, die ihr H^us zum Sammelpunkt der gebildeten
Kreise machte und auch^ selbst schriftstellerisch thätig war. Neigung und Anlage zum Dichten sind
also von ihr auf den Sohn übergegangen; dazu hat die schöne Natur seiner Heimat den poetischen
Sinn des Knaben und Jünglings mächtig angeregt.
Er selbst wollte am liebsten Maler werden, aber der strenge Vater bestand darauf, daß er
die Rechte studierte. Schon als Student machte er sich durch humoristische Lieder bekannt, welche
später in die Sammlung „Gaudeamus" aufgenommen worden sind.
In Scheffel lebte auch der echt germanische Wandertrieb: den Schwarzwald, die reizenden
Umgebungen des Bodensees hat er nach allen Richtungen, offenen Auges und empfänglichen Sinnes,
durchwandert: deshalb finden sich auch später in seinen Dichtungen so prächtige, lebendige
Schilderungen jener Landschaften. Aber auch in die Ferne, weit über Deutschlands Grenzen
hinaus trieb es ihn, er hat Skandinavien bereist, ist in Südfrankreich gewesen und hat, nachdem
er seine juristische Laufbahn gänzlich aufgegeben, mehrmals einen längeren Aufenthalt in Italien
genommen. Von 1850 bis 1851 war er Rechtspraktikant in dem Städtchen Säkkingen, dessen
wunderschöne Umgebung er fleißig durchstreifte. Dabei fand er einen alten Grabstein mit der
Inschrift: „Hier ruht Herr Werner Kirchhofer, der einsten ein Trumpetter war, und seine Ehe¬
liebste Maria Ursula, geb. Freiin von Schönau." Weiter meldet der Stein, daß „beid' auf Erden
schon den Himmel hatten", und daß „Maria nach kurzem Witwenleid ins Grab gefolgt dem
Gatten." Dieser Stein gab Scheffel die erste Anregung zu seiner ersten größeren Dichtung, zu
dem „Trompeter von Säkkingen", den er 1853 während seines ersten Aufenthaltes in Italien auf
der, Insel Capri dichtete (I), 1). Im folgenden Jahre hielt ihn die Durchforschung alter Chroniken
im Kloster von St. Gallen fest; die Frucht dieser Forschungen ist sein bedeutendstes Werk:
Ekkehard. Eine Geschichte aus dem zehnten Jahrhundert." (1855.)
1856 und 57 lebte Scheffel in München, wo er ein eifriges Mitglied des dortigen Dichter¬
kreises war. Er hatte seine Schwester Marie, ein mit den herrlichsten Gaben Leibes und der
Seele ausgestattetes junges Mädchen, zu sich gerufen — aber infolge des rauhen Klimas von
München erkrankte j"ie_ und wurde durch einen plötzlichen Tod dahingerafft. Der Verlust dieser
über alles geliebten Schwester hat ihn so gewaltig erschüttert, daß sein Gemüt verdüstert wurde,
und er sich überhaupt nie wieder ganz davon erholte. München war ihm verleidet, er nahm die
Stelle eines Bibliothekars in Donaueschingen an, legte aber das Amt wegen seiner wankenden
Gesundheit 1859 nieder und begab sich auf Reisen. Einen Theil des Jahres brachte er in Weimar
zu, wo er dem Großherzog sein Buch „Frau Aventiure. Lieder aus Heinrich von Ofterdingens
Zeit" widmete.
Bald darauf ließ er sich dauernd am Gestade seines geliebten Bodensees nieder, wo er sich
in der Nähe von Radolfszell ein Landhaus, „Die Seehalde" erbaute. Hier entstanden noch die
Dichtungen „Juniperus, Geschichte eines Kreuzfahrers", „Bergpsalmen", worin er erzählt, wie der
Bischof Wolfgang von Regensburg weltflüchtig wurde und eine Sommerzuflucht im Gebirge fand,
und „Waldeinsamkeit".
Sein fünfzigster Geburtstag gestaltete sich durch die Teilnahme von ganz Deutschland für ihn
zu einem hohen Ehrentag, sein Landsherr erhob ihn in den erblichen Adelstand. In seinen
letzten Lebensjahren wurde er von schwerer, furchtbar schmerzlicher Krankheit heimgesucht; von
seinen qualvollen Leiden erlöste ihn ein sanfter Tod am 9. April 1886.