Thierleben in den Schluchten.
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erreichen und nach Nordwesten hin noch mehr abnehmen, so sind sie doch schwer
zugänglich, da ihnen Kulturboden und hinreichende Bewohnung fehlen. Lange
Zeit führten nur schmale Reit - und Fußpfade über das Gebirge, doch jetzt ge¬
leiten Chausseen und gangbare Straßen von Munkaes über den Paß von Vereczke
als „Weg der Magyaren" nach Stry und Lemberg, von Unghvar über den Paß
von Uszok nach Przemysl am obern Dniestr, von Zombor rechts vom Bodrogh, dem
Theißzuflnß übcr Kaschau, Cperies und den Duklapaß nach Przemysl zum San oder
nach Lemberg, Wieliezka und Krakau. Merkwürdig ist es, daß 700 — 800 Fuß
tief gewaltige Steinsalzbänke den Nordfuß des Gebirges umlagern, gleich als ob
die Karpaten in den Urzeiten eine Landenge zwischen den ungarischen und polni¬
schen Seckesseln gebildet hätten, und daß das Gebirge im Süden in der Nähe der
Theißquelle und der Sanquelle seine höchsten Gipfel hat; denn dort steigt der
Pietrozzo 6800 Fuß, hier der Szerenik 4000 Fuß hoch empor, während die
sanften Abfälle nach Nordosten streichen. Die Thalfurchen des Poprad, der
Topla, der Theiß und des Prnth umgrenzen dieses einsame Gebirge, welches an
Kohlenflötzen reich ist und im Süden als Vorlager die vulcanische Bergkette des
„Ausgebrannten" (winhorlet) mit dem Krater des „Meeresauges" besitzt, der
von seiner Höhe von 2184 Fuß einen großartigen Uebcrblick über das 3360 Fuß
hohe Gebirge und den steilen, trümmerreichen Sandsteinkamm gewährt, der als
schauerliche Wildniß sich nach Siebenbürgen hinüberzieht.
Die menschenleeren Bergzüge des Waldgebirges sind eine willkommene Hei-
math für Bären, Wölfe, Luchse, wilde Katzen, Rehe und Eber; von den selt¬
samen Gebilden der Sandsteinberge, von den ruinenartigen Steintrümmern, den
malerisch unter dichtem Gebüsch versteckten Klüften, von den zierlichen Wasser¬
fällen und träumerisch in sich brütenden Landschaften der Buchenforsten sind nur
wenige von Menschenaugen gesehen. Denn nur zuweilen dringen bewaffnete
Bauern in die einsamen Wildnisse, um Rache am Wolfe oder Bären zu nehmen,
wenn er der Herde des Umwohners Schaden zugefügt hat. Dumpf rauschen die
Baumwipfel, doch unter den bemoosten Baumriesen lagert eine umheimliche
Stille, eine verdächtige Dämmerung und weht ein eigenthümlicher Modergeruch
von den verwesenden Blättern, Zweigen und Stämmen, die in wilder Unord¬
nung im feuchten Sumpfboden ruben, wohin Alter oder ein rasender Winter¬
sturm sie geworfen hat. Kein Pfad geleitet durch die finsteren Forsten außer den
wenigen Straßen, die am Waldrande von einem Dörfchen zum andern führen.
Hier waltet die Natur in ungehemmter Machtvollkommenheit, hier ringen uralte
Fichten mannhaft mit dem zerstörungssüchtigen Nordwinde, hier liefern sich die
Raubthiere ihre blutigen Zweikämpfe, hier baut der kalte Winter seine Zauber¬
welt aus Eiszackcn, Schneegehängen, Reispuder auf, hier rasen im Frühjahre
und Herbst angeschwollene Bäche schäumend durch schaurige Felsschluchten und
verwandeln tiefe Waldwiesen in Seen mit faulenden Wassern, hier herrscht als
Waldesfürst der ungesellige, reizbare Bär, wenn ihn die Kälte nicht in seine Höhle
getrieben hat, um die ungastliche Jahreszeit in träger Ruhe zu verträumen.
Sieh, dort gähnt unter steiler Felsenwand eine Höhle, die sich die Bärin