47. Meeresleuchten bei Ostende ꝛ 3*
feurige Furchen durch den Wasserspiegel; die plätschernden Ruder
streuen Funken in die Luft; der Dampfer aber läßt noch weit⸗
hin einen leuchtenden Streifen als Spur seiner Bahn sicht⸗
bar werden.
Steigt man von dem Steindamme hinab um das selt—
same Feuerwerk in der Nähe zu schauen, so zeigen sich selbst
im Sande, soweit er feucht ist, unter den Fußtritten leuchtende
Funken; man glaubt über aufglühende Kohlen zu wandeln.
Rührt man mit einem Stocke in einer Vertiefung, welche von
der Flut mit Meerwasser angefüllt ist, so fängt das Wasser
an zu glühen. Schlägt man mit der Hand darauf, so ist es,
als vo man Flammen wecke. Schöpft man Wasser und schleu—
dert es in die Luft, so sät man Funken. Leckt eine überschla—
gende Welle bis zu den Füßen heran, so ist der ganze Rand
herselben wie mit Millionen Diamanten reinsten Wassers und
Perlen herrlichsten Schmelzes besetzt.
Ein eigentümlicher Anblick bietet sich dem Auge, wenn dann
noch ein verspäteter Badegast aus dem Badekarren in das Wasser
steigt um in dem glühenden Meere ein kühlendes Bad zu neh⸗
hen. Denkt euch das seltsame Schauspiel: Ein Mensch eilt
wohlgemut in die glühenden Wasser, taucht unter die leuchtende
Flut, spritzt mit Händen und Füßen um sich her. An jedem
Haar hängt's wie eine glühende Kohle, aus Nase und Mund
strömt's wie Feuer, sobald er den Kopf wieder über das Meer
erhebt; sein Körper ist über und über mit tausend brennenden
Punkten wie mit Sternen besät, wenn er zum Badekarren zu—
rückgeht.
Woher rührt denn dieses wunderbare Leuchten, dieses selt⸗
same Aufflammen des Meerwassers? Ehedem glaubte man, der
Meeresspiegel sauge, ähnlich wie der Diamant, am Tage Son⸗
nenlicht auf und strahle es in der Dunkelheit der Nacht wieder
aus. Heutzutage weiß man, daß das Leuchten des Meeres durch
Milliarden kleiner Tierchen verursacht wird, von denen die
größten noch kleiner sind als der Knopf der feinsten Steck⸗
adel. An stillen, lauwarmen Abenden kommen ihre ungezählten
Scharen aus der Tiefe an die Oberfläche des Wassers, wie die
Johanniswürmchen aus dem Grase an die Luft. Und da ihr
feiner Leib ähnlich wie bei diesen glüht, so entsteht dadurch
das prachtvolle Aufleuchten der Meereswellen.
Johannes Kayser.
73