Contents: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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R- Verzeih' mir's doch, Großmutter! Ich will's nicht mehr thun. 
Verzeih' mir's doch, ich will's gewiß nicht mehr thun, Großmutter! 
D. M. Hast du sie gestohlen? 
R. (schluchzend.) Ja, ja, Großmutter! 
D. M. Wem hast du sie gestohlen? 
R. Dem — Maurer. 
D. M: Du mußt zu ihm gehen, Rudeli! und ihn bitten, daß 
er verzeihe. 
R. Großmutter! um Gotteswillen, ich darf nicht! 
D. M. Du mußt Rudeli, damit du es ein andermal nicht mehr 
thust. Ohne Widerrede mußt du gehen! 
Und um Gotteswilleu, mein Lieber! wenn dich schon hungert, 
nimm doch Nichts mehr. Gott verläßt Niemand; er gibt allemal. — 
O Rudeli! wenn dich schon hungert, wenn du schon Nichts hast und 
Nichts weißt; traue auf deinen lieben Gott und stiehl nicht mehr. 
R. Großmutter, Großmutter! Ich will gewiß nicht mehr stehlen, 
wenn mich schon hungert! ich will gewiß nicht mehr stehlen. 
D. M. Nun, so segne dich denn mein Gott, aus den ich hoffe 
— und er bewahre dich, du Lieber! — Sie drückte ihn an ihr Herz, 
weinte und sagte dann: Du mußt jetzt zum Maurer gehen und ihn 
um Verzeihung bitten. Rudi! gehe doch auch mit ihm, und sag des 
Maurers, daß anch ich sie um Verzeihung bitte, und daß es mir leid 
sei, daß ich ihnen die Erdäpfel nicht wieder zurückgeben könne —- sag 
ihnen, ich wolle Gott für sie bitten, daß er ihnen ihr Uebriges segne. 
— Es thut mir so wehe. — Sie haben das Ihrige auch so nöthig 
— und wenn die Frau nicht so Tag und Nacht arbeitete, sie könnten 
bei ihrer großen Haushaltung fast nicht durchkommen. Rudi! du ar¬ 
beitest ihm gern ein paar Tage dafür, daß er das Seinige wieder 
erhalte. 
R. Ach mein Gott! von Herzen gern, meine liebe Mutter! 
162. Fortsetzung, 
Da er eben das sagte, klopfte der Vogt an's Fenster. Und die 
Kranke erkannte ihn an seinem Husten und sagte: O Gott! Rudi! Es 
ist der Vogt! Gewiß sind das Brod und die Butter, wovon du mir 
Suppen kochst, noch nicht bezahlt! 
R. Um Gotteswillen, bekümmere dich nicht, Mutter! Es ist 
Nichts daran gelegen. Ich will ihm arbeiten und in der Ernte schnei¬ 
den, was er will. 
Ach, er wartet dir nicht, sagt die Mutter, und der Rudi geht 
aus der Stube zum Vogt. Die Kranke aber seufzet bei sich selber und 
sagt: Seit unserm Handel, Gott verzeih' ihm dem armen, verblende¬ 
ten Tropf! ist mir immer ein Stich in's Herz gegangen, wenn ich ihn 
sah. — Ach Gott! und in meiner nahen Stunde muß er noch vor 
mein Fenster kommen und husten. ■— Es ist. Gottes Wille , daß ich 
ihm ganz., daß ich ihm jetzt verzeihe und den letzten Groll überwinde 
und für seine Seele bete. Ich will es thun. Gott du leitetest den 
Handel! Verzeih ihm. Vater im Himmel! Verzeih ihm. Sie hört jetzt
	        
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