Metadata: Handbuch für den Anschauungsunterricht und die Heimatskunde

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dem Sitze der Seele, und erzeugen hier Empfindungen*). Ist der 
Reiz durch den Sehnerv dem Gehirne zugeführt, fo entsteht eine Licht¬ 
oder Farbenempfindung, durch den Gehörnerv, dann wird eine Ton- oder 
Geräuschempfindung hervorgerufen u. f. w. Die Empfindungen sind ganz 
unbestimmt und formlos. So empfindet ein Säugling in den ersten 
Lebenswochen den Reiz der Kerze und den Knall der Peitsche; aber er 
werst nicht, was er empfindet. Die Empfindungen sind daher 
bewußtlos aufgenommene Reize. 
2) Wahrnehmungen. Nach einiger Zeit sieht das Kind die brennende 
Kerze wieder. Sein Blick haftet daran und folgt derselben, es wird sich 
der Farbe, der Helligkeit, des Flackerns der Kerze bewußt, es weiß sie 
von anderen Gegenständen der Umgebung, z. B. von dem daneben stehenden 
Glase, zu unterscheiden, es faßt sie in ihrer Eigenart als wirklich feiend, 
als wahr auf, — das Kind macht eine Wahrnehmung. Wahr¬ 
nehmungen find also bewußte Empfindungen. Jemand geht 
draußen spazieren; da sagt er: „Ich nehme in der Ferne einen Hafen 
wahr". Was liegt darin? Seine Augen führen ihm das Bild eines 
Tieres vor, er erkennt die Größe und Farbe desselben, die vier Beine, 
die langen Ohren, — das alles kommt ihm zum Bewußtsein, hebt 
dieses Tier von seiner Umgebung ab; er hat daher eine Wahrnehmung 
gemacht. Stumpfsinnige Menschen starren einen Gegenstand an, ohne 
ihn aufzufassen; sie haben Empfindungen, machen aber keine Wahr¬ 
nehmungen. 
Die Empfindungen und Wahrnehmungen sind „die ersten 
uns erkennbaren Formen, die Urformen der menschlichen Geistesthätigkeit, 
gleichsam ihre Keimblätter. Dieselben sind an die Thätigkeit der Sinnes¬ 
organe gebunden und werden veranlaßt durch Reize, welche von einem 
Gegenstände auf die Sinnesorgane ausgeübt werden. Aber neben diesen 
Reizelt können nicht die Sinnesorgane allein Faktoren jener Geistesthätig¬ 
keiten sein; denn das sonst unverletzte Auge des „Entseelten" sieht nicht, 
fern Ohr hört nicht u. s. w. Die Seele ist also der dritte Faktor. Die 
Substanz der Seele ist uns gänzlich unbekannt. Nur dies erkennen wir, 
daß der Seele gewisse Eigenschaften, Kräfte und Gesetze angeboren fein 
müssen; und diese nennen wir Anlagen. Die Anlagen der Seele, die 
Thätigkeit der Sinnesorgane und die Reize der Außenwelt sind hiernach 
die Faktoren jener Urformen der menschlichen Geistesthätigkeiten. Wo 
einer von den dreien fehlt oder mangelhaft wirkt, da wird die Entwicklung 
des menschlichen Geistes in ihrem Fundament geschädigt. Darauf hat 
der Erzieher zu achten. Der Seele Anlagen geben kann er allerdings 
nicht; aber durch seine Schuld können diese, sofern sie Kräfte sind, ver¬ 
kümmert werden. Jede Kraft bedarf zu ihrer Entwicklung der Übung, 
*) Der Vorsilbe einp liegt die altdeutsche Vorsilbe aut—gegen zugrunde. Aus 
dieser hat sich unsere jetzige Vorsilbe ent (z. B. entfernen) und vor Wörtern mit f 
emp (z. B- empfangen) gebildet. Sie bedeutet in einigen Wörtern ein Entgegen¬ 
kommen, ein Aufnehmen; in dem Worte empfinden bezeichnet sie das Aufnehmen 
des Reizes.
	        
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