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weit hinaus oder erscheint als eine ununterbrochene Fortsetzung der Küste; die 
Watten erscheinen wie die weite Fläche eines völlig wüsten und wilden Landes, auf 
dessen Rücken hier und dort in den Vertiefungen des Sandes große Wasserlachen 
stehen geblieben sind, die nur einige Fuß tief und spiegelblank sind. Die Sonnen¬ 
strahlen üben zu den Tageszeiten,'da sie schräg fallen, ein reizendes Lichtspiel aus 
denselben aus, die die niederländischen Maler oft in ihren Ebbe- und Fluthgemälden 
zu hübschen Effekten benutzt haben. 
Der Weg über das Watt von einer Insel zur andern oder zur Küste wird durch 
kleine Sträucher bezeichnet, welche in den Sand gesteckt sind, jedoch so, daß. sie nicht 
zur Fluthzeit an der Oberfläche des Wassers erscheinen und die Schiffe irre führen. 
Da das Watt ganz kahl ist, so unterscheidet man sie leicht, obgleich sie nicht höher 
als 3 bis 4 Fuß sind. Die Schiffe müssen jene Stelle, welche die Fußgänger zur 
Ebbezeit (die sogenannten Schlickläufer), aufsuchen, vermeiden; um nicht auf den 
Sand zu gerathen, sind für sie andere Zeichen aufgepflanzt, 7 bis 10 Fuß hohe junge 
Baumstämme, welche die Fahrstraße des Wassers andeuten und durch ihre Nachgie¬ 
bigkeit den Schiffen keine Gefahr bereiten. Gewöhnlich bedient man sich dazu der 
geschmeidigen Birkenbäume. 
Auf der westlichsten dieser Inseln, deren nicht sehr zahlreiche Bewohner zum 
Theil noch die alte friesische Sprache reden und nur die Fischerei zum Erwerbs¬ 
zweige haben, auf Borkum, befindet sich der von Holland und Hannover gemein¬ 
schaftlich unterhaltene Leuchtthurm, ein hoher Thurm, auf dessen Spitze ein weithin 
scheinendes Feuer unterhalten wird, welches den Schiffern die Fahrstraße der Eins 
und den Eingang in den Dollart bezeichnet. 
Nordernei ist die bevölkertste und wegen ihres besuchten Seebades die merk¬ 
würdigste dieser Inseln. Man kann dieselbe zu Wasser und auch zu Lande erreichen. 
Während der Ebbezeit nämlich läuft das Wasser so bedeutend ab, daß die il/4 M. 
breite Strecke zwischen der Insel und der Küste, das sogenannte Watt, auf der am 
höchsten liegenden Stelle fast ganz trocken gelegt wird und die Badegäste zu Wagen 
, und zu Pferde — auch, wenn sie nasse Füße nicht scheuen, zu Fuß auf die Insel 
gelangen. Während der Fluthzeit muß mau das Watt zu Schiffe passiren. Die 
Insel ist ll/t Stunde lang, hat einen Umfang von 3 Stunden und einen Flächen¬ 
inhalt von Q..-M. Der Strand dacht sich allmälig in die See ab, besonders 
auf der West- und Nordwestseite und zeigt einen völlig ebenen, dichten Sandboden. 
Bon der Inselseite her wird der Strand von einer Dünenkette begrenzt, welche die 
ganze Insel, an manchen Stellen in vierfacher Reihe, wie ein Gürtel umgiebt und 
sie gegen die Wuth der Wogen und der Winde schützt. Nur ein kleiner Theil der 
Insel, die gegen die häufig wehenden Nord- und Ostwinde geschützte West- und 
.Südwestseite derselben, gestattet den Anbau einiger Gartengewächse und bietet den 
Einwohnern dürftige Weide für ihre wenigen Kühe und Schafe. Elsen, Pappeln 
und Weiden, welche man angepflanzt hat, gedeihen nur bis zu einer gewissen Höhe, 
jeder Sprößling, der weiter als 12 bis 15 Fuß über die Erde hervorragt, 
stirbt ab. 
Das Klima ist, wie auf den meisten Nordseeinseln, ein sehr gesundes. Die 
Bewohner der Insel, besonders die Männer, bei denen der Aufenthalt auf der See 
viel zur Befestigung der Gesundheit beiträgt, sollen sehr alt werden. 
Im Südwesten der Insel liegt das Fischerdorf Nordernei, welches etwa 24«) 
theils ein-, theils zweistöckige Häuser mit 1200 Einwohnern zählt. Die Häuser sind 
in holländischem Geschmacke von Backsteinen gebaut, mit Ziegeln gedeckt und haben 
ein freundliches Ansehen. Die Bewohner der Insel leben von Schifffahrt und 
Fischerei. Während der Badezeit gewähren ihnen das Vermiethen ihrer Wohnungen, 
die Bedienung der Fremden und manche andere Beschäftigungen einen ansehnlichen 
Verdienst. Sie sind einfache, treuherzige Menschen. 
Nordernei kann mit Recht das vornehmste und glänzendste Seebad der Nordsee 
genannt werden. Die Negierung verwendet viel zur Verbesserung und Verschöne¬ 
rung der Badeanstalt und jährlich steigt die Zahl der Besucher. 
173 Die Marschen in Norddentschland und Niederland. 
Fettes Marschland, die Krone der Fruchtbarkeit, umzieht als ein breiter grüner 
Gürtel von Rüpen in Jütland an, durch Schleswig, Holstein, Hannover, Oldenburg, 
Ostfriesland bis zur Mündung der Schelde die Nordseeküste, trennt das Binnen¬ 
land von der See und zieht sich landeinwärts in größerer oder geringerer Breite an
	        
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