246
stehenden Senfsamen gelb gefärbt. Auch steht man hie und da einen Baum auf
dem Gipfel des Hügels neben dem Haufe. DieHäuser sind hier in ganz anderer Art gebaut
wie auf der Geest: sie sind nur einstöckig, lang, von Ziegeln, ohne vielen Holzaufwand;
über den niedrigen Thüren ist immer ein kleiner schmaler Bogen, der schnee¬
weiß angekalkt ist. Neben den Thüren findet man 2 eiserne Ringe angeschlagen,
um Reitpferde daran anzubinden; denn bei der Wegelosigkeit der Marsch im Herbst
und Winter reiten die Bewohner lieber zu einander, als daß sie gehen.
Einen eigenthümlichen Anblick in der Landschaft gewähren die Deiche, die sich
in langen Linien durch die Wiesen strecken. Weil sie erhaben und daher trockener
sind, als die tieferliegenden Marschen, so legt man gern auf ihrem Rücken Wege an.
Die Wagen, Fußgänger und Reiter auf denselben gewähren in der Ferne einen
eigenthümlichen Anblick. Sie sehen gespenstisch aus, und man begreift, warum die
Marschbewohner so oft Gespenster auf den Deichen wandeln sehen.
Geest, Marsch und Watten, welche Gegensatze! Erstere, die Geest, ist im Ver¬
hältnisse zur Marsch ziemlich hochgelegen, hügelig, mit Quellen und Bächen, hier
und da mit Wald, mit schönen Baumpartieen versehen, oft haidig, sandig, stellen¬
weise bebaut, im Ganzen minder fruchtbar. Darauf folgt die niedrigere, ebene,
flache Marsch, kahl, fast völlig baumlos, ohne Steine, ohne Quellen und Flüsse,
von Deichen und schnurgeraden Kanälen durchzogen, ein ununterbrochen fetter,
höchst fruchtbarer Erdstrich, Acker an Acker, Wiese an Wiese, letztere im Soinmer
bis spät in den Herbst mit Heerden weidender Rinder bedeckt, ein wahres Paradies
für diese Thierwelt.
Darauf endlich und dem, fluthenden Meere am nächsten die Watten. Welcher
Contrast derselben gegen die'Marschen, und wie hebt er das volle und grünende
Leben der letzteren!
174. Die Moore Norddeutschlrmds und Niederlands.
Drei landschaftliche Erscheinungen sind es, welche das Land der deutschen Nord¬
seeküste besonders auszeichnen, nämlich das Geest-, Moor- und Marschland.
Daß Geestland' ist der älteste Boden, Moor- und Marschland sind späteren Ur¬
sprungs. Von wo aus man auch der Nordseeküste sich naht, überall betritt man
zuerst die Geest, die in der lüneburger Haide in der größten Ausdehnung und in der
magersten Gestalt auftritt. Im Allgemeinen versteht man unter Geest das höher
gelegene, fester gebildete, mehr oder weniger magere, sandige und trockene Land, wie
denn auch „geest" oder „güst" in der plattdeutschen Sprache trocken bedeutet. Doch
würde man irren, wenn man sich unter der Geest durchaus unfruchtbares Land vor¬
stellen wollte; die lüneburger Haide ist allerdings sehr ärmlich, aber anderwärts
gedeihen Roggen, Gerste, Hafer, Flachs, Rüben u s. f. mehr oder minder gut; bei
guter Düngung zieht man an vielen Orten 3 bis 4 Jahre gute Roggenernten vom
Geestlande und baut dann noch Hafer darauf.
Das Marschland ist das höchst fruchtbare Land, welches durch das von den
Flüssen der Küste zugeführte feine Erdmaterial gebildet wird, welches sich unter
Beihülfe des wogenden Meeres an die Geest ansetzte, etwa wie das Fleisch an den
Knochen angelegt ist.. Es zieht sich an der Meeresküste und an den Usern der
Ströme neben und zwischen Geest und Mooren umher.
Die Moore oder Brücher liegen zwischen den dürren Sandländern und sind die
unfruchtbarsten Landstriche. Kein Strauch unterbricht diese unübersehbaren Einöden;
sie sind spärlich mit kurzem schilfigem Moorgrase und höchstens mit Binsen be¬
wachsen, und stellenweise tritt braunes übelschmeckendes Wasser zu Tage. Eine
Todtenstille ruht auf ihnen, höchstens unterbrochen durch das Geschrei des Kibitz,
der in Brüchen seine Nester baut, oder durch den klagenden Laut des einsamen
Moorhuhnes. Meist sind diese Moräste 3 —10, hie und da an 20 Fuß mächtig.
Wehe dem Unkundigen, der es wagte, über solchen Boden zu wandeln! Ohne die
langen an den Füßen befestigten Brettersandalen der Eingeborenen, eine Erinnerung
an den scandinavischen Schneeschuh, würde er an vielen Stellen unfehlbar in dem
tiefen Moore allmälig versinken, wenn nicht rettende Hülfe baldigst mit Tauen und
Brettern zur Seite steht.
So armselig aber auch die Moore erscheinen, so sind sie doch dadurch interessant,
daß sie ein schlagendes Zeugniß sowohl von der schöpferischen Naturkraft als von der
Erfindungskraft des Menschen ablegen. Sie wurden hervorgerufen durch das sich