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noch größere Zahl von den Raubthieren verschlungen werden. Endlich im März
senken sich die Schaaren mehr und mehr in die Tiefe, und mit dem Ende des Monats
verschwinden sie gewöhnlich ganz. Der Fang ist beendet, und die Fischer ziehen
nach Hause, um zu empfangen, was sie vom Kaufmann zu fordern haben; aber
dies ist» meist, trotz aller Gunst des Schicksals, doch nur eine geringe Summe. Wie
viel Gefahren, n ie viel Mühen und fast übermenschliche Anstrengungen erfordert dies
Gewerbe, wie viel entsetzliche Noth und Leiden bringt es mit sich, uno doch ist es
bei diesen Menschen eine Leidenschaft, von der sie nicht lassen können.
45. Die Kappen und das Rennthier.
Der ganze Bolksstamm der Lappen in Norwegen, Schweden und Rußland
zählt höchstens 10,000 Köpfe, wovon die Hafte vielleicht auf Norwegen kommt.
Aber ein großer Theil von ihnen mag eigentlich kaum als einem der drei Reiche
angehörend zu betrachten sein, denn er zieht mit seinen Rennthieren durch die
bahnlosen Einöden vom Meere hinauf in ferne namenlose Wüsten, wo er sein
Winterlager aufschlägt, und kehrt init dem Sommer zur Seeküste zurück, an der¬
er 6—8 Wochen verweilt.
Das Leben dieser Lappen ist mit dem Leben des Geschöpfes, das seine ein¬
zige Habe ausmacht, innig und untrennbar verbunden, und dies Thier selbst zwingt
ihn zum steten Wechsel seines Wohuplatzes. Das Rennthier weidet auf den hohen
wüsten Fjellen Finnmarkens, auf jenen fürchterlichen Sümpfen, deren braune Decke
das bittere Rennthiermoos trägt, und neben ihm reift die Moltebeere als einzige
Frucht. Wenn die Sommerhitze hier oben eintritt, sieht es sich von Wolken, von
Mücken, Schnaken und Stechfliegen gequält, welche die Epistenz der Menschen wie
der Thiere unerträglich macht. Es dringt daher von selbst darauf, daß seine Herren
mit ihm an die kühle Meeresküste hinabziehen, wo die Schwärme des Ungeziefers
in den Winden verwehen; kaum aber naht der Herbst, so erwachte die Begierde
nach dem Schnee des Gebirges, und vergebens würde es sein, sich dagegen zu sträu¬
ben :>ie Heerde würde gewaltsam entlaufen und ihre wilde Freiheit zurückfordernd,
sich mit den Schaaren ihrer Brüder vereinen, welche die Gebirge durchirren und
Gegenstand so vieler kühner Jagden sind.
Die Fjeld- oder Berglappen bilden die Aristokratie des Volksstammes; nur
der arme und elende Tbeil desselben bequemt sich an der Küste und an den Flüssen
und Seen zu wohnen, zu fischen und auch wohl ein dürftiges kleines Feld zu be¬
stellen. Mit Verlangen hängen aber auch sie ihre Augen an das Land ihrer
Väter, an die düstern, nebelvollen, lappischen Gebirge, von denen das Bellen deß
zottigen Rennthierhundes, der Ruf ihrer bevorzugten Brüder herabschallt. Wenn
irgend ein Seelappe, von einem glücklichen Umstande begünstigt, die Mittel erhält,
Rennthiere zu kaufen oder sich einer Fjeldlappenfamilie einzuverleiben, so kann
inan sicher sein. daß er augenblicklich die Hütte am Strande verläßt unv zu den
spitzen Zelten im Gebirge aufsteigt, welche für ihn das Paradies aller irdischen
Glückseligkeit enthalten.
Aber nur ein kleiner Theil der Fjeldlappen kommt zur Sommerzeit an's Meer,
rie übrigen ziehen von den Gebirgen in die große lappische Ebene oder in die tiefe¬
ren Thäler nieder und lassen dort ihre Thiere weiden.
Der eigentliche Fjeld- und der Waldlappe ist meist kräftiger und breitgeschul-
terter, als der schwächliche, elend ernährte Seelappe, obgleich der ganze Volsstamm
bekanntlich klein ist und die meisten Männer nicht viel über fünf Fuß messen, eine
Größe, welche die Weiber nicht erreichen. Gewöhnlich haben die Lappen braunes
Haar und braune Augen, die schief nach der Nase hinabziehen und sehr tief liegen.
Diese Augen sind lebhaft, aber hässlich dadurch, daß sie keine Wimpern besitzen, wo¬
gegen ein roth entzündeter Rand darum hinläuft , welcher Folge des Qualms ihrer
Hütten und Zelte und des ewigen Schnee's ist. Die Stirn des Lappen ist kurz
und breit, die Nase dick, die Backenknochen mongolisch vorspringend, das Kinn spitz
und die Haut gelblich braun, mehr als Folge des Rauchs und Schmutzes, als von
der Natur ihnen gegeben.
Für gewöhnlich ist die Kleidung aller Lappen sehr einfach. Alle, ohne Unter¬
schied des Geschlechts, tragen bis auf die Knöchel reichende Beinkleider von grobem
Wollenzeug, über welche sie Halbstiefeln von gegerbtem Leder und im Winter, wo
ihr ganzer Anzug Pelzwerk ist, von Rennthierfell ziehen.