Full text: Beschreibung der Preußischen Rheinprovinzen (Theil 1)

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an, da er die ersten Sprossen bestieg; aber sein Muth 
wuchs mit jedem Schritt in die Höhe. Glücklich erreichte 
er den Gipfel, als eben die Morgenröthe über dem Hoch¬ 
gebirge flammte. Das erste, was sein Auge oben er¬ 
blickte, war Gartinde. Auf einer Moosbank, zwischen 
wilden Rosen und würzigen Kräutern. lag sie hingegos¬ 
sen, in süßem Schlummer. Unbeweglich stand der Ritter 
vor ibr, und sein Auge sog sich ein in ihre Reize, 'wie 
die Waldbienen umher sich einsogen in die Kelche der 
Blumen. Aber als sie nun erwachte, und der Himmel 
ihrer blauen Augen sich vor ihm aufthat, da versank er 
in überströmendem Gefühl; er ließ sich vor der Jung¬ 
frau auf ein Knie nieder, und sagte, daß er gekommen 
sei, sie zu ihrem Vater zurückzubringen. — Garlinde 
wußte nicht, wie ihr geschah. Sie crröthete und fing zu 
weinen an, und lächelte dann unter den Thränen, wie 
die Sonne lächelt unter dem Mairegen. 
Jetzt erschien das alte Männlein, welches die Jung¬ 
frau entführt hatte, und hinter ihm drein trippelte das 
graue Mütterchen. — Beim Anblick des Ritters runzelte 
das Männlein die Stirne ein wenig; als es aber die 
Leiter erblickte, und den Zusammenhang abnete, lachte es 
laut auf und sagte: — Das wurde gewiß im weichen 
Herzen der Alten da an- und abgesponnen. Aber Wort 
ist Wort und bleibt Wort. Nimm sie, die du suchst, und 
sei gastfreundlicher als ihr Vater! Doch allzu wohlfeil 
sollst du die schöne Jungfrau auch nicht haben, darum 
gehst du den Weg zurück, welchen du gekommen bist; 
unsrer Pflegetochter wollen wir's bequemer machen, wie 
billig. — Ruthelm ließ es sich gern gefallen, die Leiter 
wieder hinabzusteigen; Garlinde aber wurde von dem 
Männlein und seiner Schwester durch die Höhlung des 
Berges bis unten an den Fuß desselben geführt, wo ein 
verborgener Ausgang war. Beim Abschiede reichte das 
Mütterchen der Jungfrau ein schönes Kästchen von ver¬ 
steinertem PalmenholH, mit kostbaren Edelsteinen ange¬ 
füllt, und sagte: Nimm, mein Kind! das ist der Mahl¬ 
schatz, den ich für dich gesammelt. Garlinde dankte mit 
Thränen im Auge. 
Rnthelm geleitete nun die Jungfrau auf die Burg 
ihres Vaters. Die Freude des alten Sibo, als er sein 
Kind wieder sah, läßt sich nicht beschreiben. Er gab so¬ 
gleich Befehl, jeden Wanderer, der auf Lorch kommen 
wurde, freundlich aufzunehmen, und acht Tage lang zu 
bewirthen. Rnthelm aber erhielt zur Belohnung Gar-
	        
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