Balladen, Romanzen. 941
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Gießbach hinweg
Im Strudel der Wellen gerissen.
Drum daß dem Lechzenden werde sein Heil,
So will ich das Wässerlein jetzt in Eil
Durchwaten mit nackenden Füßen.“
9. „Da setzt ihn der Graf auf sein ritterlich Pferd
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Daß er labe den Kranken, der sein begehrt,
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
Vergnüget noch weiter des Jagens Begier,
Der andre die Reise vollführet.
Und am nächsten Morgen mit dankendem Blick
Da bringt er dem Grafen sein Roß zurück,
Bescheiden am Zügel geführet.
10. „„Nicht wolle das Gott, rief mit Demutsinn
Der Graf, ‚daß zum Streiten und Jagen
Das Roß ich beschritte fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem Gewinst,
So bleib' es gewidmet dem göttlichen Dienst!
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
Von dem ich Ehre und irdisches Gut
Zu Lehen trage und Leib und Blut
Und Seele und Atem und Leben. —
11. „So mög' auch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren Euch bringen hier und dort,
So wie Ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland;
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie,‘ rief er begeistert aus,
„Sechs Kronen Euch bringen in Euer Haus
Und glänzen die spät'sten Geschlechter!““ —
12. Und mit sinnendem Haupt saß der Kaiser da,
Als dächt' er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell
Und verbirgt der Tränen stürzenden Quell
Wendt, Sammlung deutscher Gedichte.
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