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Verzicht zu leisten. Sein Abschied von Wittenberg war ein Trauer¬
tag für die Bewohner der Stadt. Männer, Weiber und Kinder
weinten, als der treue Lehrer sie verließ. Tausende strömten vor das
Thor, um den frommen Mann zu segnen und ihn mit ihren Blicken
so lange zu begleiten, bis er endlich aus ihren Augen verschwand.
Eine gleiche Theilnahme fand er an den meisten Orten. Man kam
aus fernen Gegenden, um den Mönch zu sehen, der es wagte, gegen
die ungeheure Macht des Papstes sich aufzulehnen. Vergebens versuchten
es seine Feinde, ihn unterwegs aufzuhalten, damit er am 21sten Tage
Worms nicht erreichen und man ihn ungestört gefangen nehmen oder
tödten könne, weil nach der angegebenen Zeit der kaiserliche Geleits¬
brief ungiltig war. Allein Luther setzte getrost seinen Weg fort, weil
er im Namen Gottes ging. In der Nähe von Worms sendete sein
Freund Spalatin, Hosprediger Friedrichs des Weisen, einen Boten
an ihn ab und erinnerte ihn an die Gefahren, denen er entgegengehe.
Luther blieb unerschütterlich nnd schrieb zurück: „Und wenn so viel
Teufel in Worms wären, als Ziegel auf den Dächern, doch wollt'
ich hinein."
Luther in Worms.
Es war den 16. April 1521, als Luther in Worms glücklich
eintraf. Viele waren ihm eine Stunde weit zu Fuss und zu Pferde
entgegengekommen;' die Strassen füllten sich mit Menschen,
die den Mönch bewundern wollten, der die päpstliche Bannbulle
in’s Feuer geworfen hatte. In dem Gasthause ward er von
vielen vornehmen Herren bis in die Nacht besucht. Auch der
Landgraf Philipp von Hessen kam zu ihm geritten, um ihn zu
sehen. Beim Weggehn gab er ihm die Hand und sagte: „Habt
ihr Recht, Herr Doctor, so helfe euch Gott.“ Schon am fol¬
genden Tage musste Luther vor der Reichsversammlung er¬
scheinen, die aus dem Kaiser und dessen Bruder, aus 6 Chur¬
fürsten, 24 Herzögen, 8 Markgrafen, 30 Bischöfen und andern
grossen Herren bestand. Als er den schweren Gang unternahm,
betete er: „0 Gott, du lebest, ich aber gehe und will sterben.
Gerecht ist die Sache und dein ist sie. So geschehe es in dei¬
nem Namen!“ Vor der Menge Volkes konnte er nicht durch die
Strassen zum Rathhause kommen; deniLselbst die Dächer hatte
man abgedeckt, um den seltenen Mann zu sehen. Man musste
ihn durch mehre Gärten führen, um auf verborgenen Wegen
in die Versammlung zu gelangen. Am Eingänge der Thür, wo
ein tapferer Officier, Georg von Freundsberg, die Wache
hatte, sprach dieser zu Luther, indem er ihn auf die Schulter