Metadata: Charakterbilder aus der Geschichte der Apostasie der Völker (Band 3)

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Dessen Unfähigkeit zur Thronfolge. 
Unvermögens, seine körperliche Mißbildung ließ von vornherein auf fehlerhafte geistige An¬ 
lagen schließen. Im Alter von 19 Jahren benahm er sich so kindisch wie ein 7jähriges Kind, 
äußerte keine Neigung zu etwas Gutem und Großem, wurde von keinem andern Triebe als 
von der unmäßigsten Eßlust bewegt und vergeudete die Zeit im Nichtstun. Er war in 
hohem Grade eigensinnig, aber doch imstande, Recht und Unrecht, das Nützliche vom Schäd¬ 
lichen zu unterscheiden. Er überließ sich den heftigsten Zornausbrüchen, sprach und handelte 
ohne alle Überlegung und bestand hartnäckig auf dem, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. 
Wenn man auch zugeben will, daß einige dieser sittlichen Gebrechen auf Rechnung einer 
fehlerhaften Erziehung zu stehen kommen, welche in Philipps Abwesenheit die Prinzessin 
Johanna, seine Schwester, leitete, so läßt sich deshalb doch nicht verkennen, daß sie Merk¬ 
male einer fehlerhaften Organisation waren, infolge deren bei längerer Lebensdauer, als der 
Prinz sie genoß, eine Entwicklung von noch abnormeren Zuständen, namentlich Steigerung 
der Leidenschaftlichkeit bis zum Wahnsinn eingetreten sein würde. Don Carlos erscheint dem¬ 
nach für die Mehrzahl seiner Handlungen gewiß unzurechnungsfähig, diese machten ihn aber 
auch unfähig zur Thronfolge. 
Daß er eine Liebschaft mit seiner Stiefmutter Jsabella gehabt habe, ist gegen alle ge¬ 
schichtliche Wahrheit, wie Llorente, Ranke und Preseott gegen Brantome und S. Real, 
welche dieses Märchen aufbrachten, nachgewiesen haben. 
Dem Vater Philipp muß man Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er seinen Sohn, 
obgleich er Ursache genug zur Unzufriedenheit mit ihm hatte, doch nicht hart behandelte und 
immerfort zur Besserung ermahnte. Die Unordnungen in der Lebensweise, denen der Prinz 
sich hingab, beweisen, daß Philipp ihm mehr Freiheit eingeräumt hatte, als ihm heilsam 
und nötig war; auch an Geld ließ er ihn keinen Mangel leiden, obwohl der Prinz es nicht 
gut anwendete. Die stete Beschwerde seines Sohnes, daß er keinen Anteil an den Staats¬ 
geschäften genieße, war nur von seinem maßlosen Ehrgeize eingegeben. Aus seinen Exzessen 
im Jünglingsalter läßt sich schließen, welche Rasereien er im Besitze von Herrschaft und Gewalt 
begangen haben würde. Wir kennen nur einen Teil seiner Streiche, welche die persönliche 
Sicherheit seiner Umgebung gefährdeten, nur wenige von den Mißhandlungen und Bedrohungen 
derer, die seinem Eigenwillen sich nicht gefügig zeigten : was wir aber wissen, reicht hin zu 
dem Schluffe, Menschen wie Don Carlos gehören ins Tollhaus und nicht auf den Thron. 
Daß Philipp seinen Sohn in Haft bringen ließ, hatte seinen Grund nicht so sehr in 
Korrektions- als Sicherheitsmaßregeln. Unwahr ist, daß Don Carlos seinem Vater nach 
dem Leben gestrebt habe; Philipp selbst stellt dies in Abrede und der Beichtvater Don Diego 
de Chaves gibt dem Prinzen das Zeugnis, daß er ein guter Katholik, seiner Sinne keines¬ 
wegs beraubt war und weder etwas Tätliches gegen seinen Vater unternommen noch im 
Sinne gehabt habe. Aber wohl mit Grund wurde Don Carlos der Konspiration mit den 
aufständischen Niederländern beschuldigt, nicht etwa, als ob diese sich auf den eigentlichen Plan 
einer Losreißuug der Niederlande von Spanien erstreckt hätte, wie ihn die Konferierten hegten, 
sondern weil er sich mit Gewalt durch Hilfe der Kouföderierteu in den Besitz der Niederlande 
setzen wollte. War ja die niederländische Verschwörung bis Madrid und in Philipps nächste 
Umgebung verzweigt und war ja in Brüssel alles, was die Statthalterin über die nieder¬ 
ländischen Angelegenheiten an Philipp schrieb, bekannt; von ihren Briefen befanden sich die 
Abschriften, sogar die Originale in den Händen der Verschwornen und aus den Angriffen 
gegen Alba und Don Juan d'Austria ist das leidenschaftliche Verlangen des Prinzen bekannt, 
in die Geheimnisse seines Vaters einzudringen; darum kann man wohl Don Carlos für den 
Täter halten, der die Briefe entwendete. Da der Prinz einen bedeutenden Anhang in Ka-
	        
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