Full text: Der sächsische Kinderfreund

Er hatte eine sehr schöne Stimme und sang vor den Thüren 
mit aller Andacht. Als dieß eine Wittwe, mit Namen 
Cotta bemerkte, so beschloß sie, den armen Schüler in ihr 
Haus aufzunehmen, und ihm freien Tisch zu geben. Luther 
belohnte seine edle Wohlthäterin durch unermüdeten Fleiß; 
Tag und Nacht arbeitete er, um es in der lateinischen 
und griechischen Sprache und in der Musik recht weit zu 
bringen. Er erhielt daher, 18 Fahre alt, das beßte Zeug¬ 
niß von seinen Lehrern, die ihn nicht nur wegen seines 
Eifers, sondern auch wegen seines Wandels rühmten. 
Fetzt bezog er die Universität zu Erfurt 15 01. Nach 
dem Willen seines Vaters sollte er ein Rechtsgelehrtcr wer¬ 
den, wiewohl er keine große Lust dazu hatte. Indeß er 
kannte die große Strenge des Vaters und fügte sich in 
seinen Willen. Unablässig studirte er, um einmal ein tüch¬ 
tiger Advocat zu werden. Dabei las er jedoch auch fleißig 
in der Bibel. Noch nie hatte er eine. vollständige Bibel 
gesehen, vielmehr glaubte er, cs stehe darin nicht mehr, 
als die Evangelien und Episteln, welche an Sonn- und 
Festtagen vorgelesen zu werden pflegen. Wie groß war da¬ 
her seine Freude, als er einst auf der Rathsbibliothek zu 
Erfurt eine vollständige lateinische Bibel fand, die man an 
einer Kette befestigt hatte, damit sie niemand stehlen möge. 
Keinen größeren Wunsch kannte er, als den, ein solches 
Buch eigenhändig zu besitzen. Drum schreibt er selbst: 
„Als ich zwanzig Fahr alt war, hatte ich noch keine Bibel 
gesehen. Fch meinte, die ganze Bibel bestünde nur in den 
Evangelien und Episteln, die Sonntags vorgelesen werden. 
Endlich fand ich in der Bibliothek zu Erfurt eine Bibel, 
die las ich mit der größten Verwunderung." 
Luther geht in das Kloster. 
Es ist schon erwähnt worden, daß Luther ein Rechts- 
gelchrter werden sollte. Allein Gott wollte es anders. 
Einst hatte er in Begleitung seines Freundes Alexius 
seine Acltern zu Mansfeld besucht. Auf der Rückreise, als 
sie schon nahe bei Erfurt waren, zog sich ein schweres Ge¬ 
witter zusammen, das immer näher kam. Die beiden 
Wanderer waren im Freien, so daß sie nicht einkehren könn-
	        
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