Full text: Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen

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Geographische Schilderungen. 
seien, würden ernstlich nachforschen, wenn uns hier ein Un¬ 
glück widerführe. Dies schien ihm deutlich gesprochen und 
machte ihn etwas höflicher. 
Der Führer leuchtete jetzt in den Abgrund vor uns hinab. 
Die wenigsten Wanderer wagen sich den steilen Pfad hinunter, 
der 51 Fuss tiefer führt; sie lassen blos den Führer mit einigen 
Lichtern hinabgehen und begnügen sich mit dem schauerlichen 
Anblicke von oben. Wir thaten dies auch. Kähne, bogen- 
ähnliche Vertiefungen, emporstrebende Säulen, geformt von 
der Hand der Natur, sahen wir im flimmernden Lichte; das 
Wasser plätscherte lebendiger im tiefsten Grunde. Der Führer 
sagte uns, es sei dort von krystallener Helle. Endlich stieg 
er wieder herauf, wir traten den Rückweg an, ein ferner Schim¬ 
mer des Tages, den unser an die Dunkelheit gewöhntes Auge 
jetzt in der zweiten Höhle vom Eingänge entdeckte, erfreute 
uns unbeschreiblich. 
Zwei Stunden waren wir in der Wohnung der Nacht und 
des ewigen Schweigens geblieben. Wie wir nun wieder hinaus¬ 
traten ans erfreuliche Sonnenlicht, wie uns wieder die milde 
schmeichelnde Sommerluft warm und belebend umfing, da war 
es, als erwachten wir von einem beängstigenden Traume ; Alles 
umher, die ganze Gegend in ihrer wilden Pracht erschien uns 
im himmlischen Glanze. 
* Die Haiden in der Mark. 
Kein guter Mann reitet gern durch die Haide, wenn der 
Abend anbricht und Schneewolken am Himmel stehen. — Das 
ist noch jetzt so, wo vieles besser ist als ehedem, denn an den 
Kreuzwegen stehen Pfähle mit hölzernen Armen, die weisen 
rechts und links oft auch vorwärts und zurück; und kann man’s 
auch nicht mehr lesen, was dran steht, man kann’s doch den¬ 
ken. Aber in alten Zeiten waren die Haiden anders und zumal 
die in den Marken nach der Ostsee zu und nach der Nordsee. 
Da konnte man Meilen weit reiten und sah keinen Pfahl und 
keinen Menschen, und die Wege schnitten sich im Sande nicht 
anders, als wie die Karren gefahren waren, und wie die Rosse 
ihre Hufe im Roden gelassen hatten. Es suchte Jeder sich sei¬ 
nen Weg, der ihm gefiel. Kein Dorf und kein Haus und keine 
Haidewärterhütte war da,- kein Rauch wirbelte auf, und kein 
Hund schlug an. Das war eine Einsamkeit, die kein Menschen¬ 
herz liebt. Hier wohnten ehedem Völker, die nun nicht mehr 
sind; die Wälder schallten wider von ihrem Hörnerklang und 
lustigem Jagdgetön, die Flüsse und Seen vom Gesang der
	        
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