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5. Der Specht und die Taube.
Ein Specht und eine Taube hatten einen Pfau besucht-
„Wie gefiel dir unser Wirth?" fragte der Specht auf dem
Rückwege. „Ist er nicht ein widriges Geschöpf? Sein
Stolz, seine unförmlichen Füße, seine häßliche Stimme,
find fie nicht unerträglich?" — „Auf alles dieses," sagte
die gute Taube, „hatte ich keine Zeit sehen: denn ich
hatte genug an der Schönheit seines Kopfes, an den herr¬
lichen Farben seiner Federn und an seinem majestätischen
Schweife zu bewundern."
Von Andorn sagt ein Biedermann
das Böse, wenn er muss; das Gute, wenn er kann.
6. Der Geizige.
Ein Geizhals fiel rn einem Fluß, der tief und reißend
war. Ein Fischer, der ihm das Leben retten wollte, sprang
ihm nach und rief: er möchte nur die Hand ihm geben.
Allein der Geizhals sprach, indem er untersank: „Ich
kann nichts geben!"
Der Geiz, so viel er an sich reisst,
lässt dich kein Gut gemessen,
er quält durch Habsucht deinen Geist,
und tödtet dein Gewissen;
er reisst durch schmeichelnden Gewinn
dich blind zu jedem Frevel hin.
7. Die Bedachtfamkeit.
Hie meisten Fehler und Vergehungen kommen von
der Unbedachtsamkeit her. Man fehlt selten aus Vor¬
satz, am meisten aber aus Mangel an Ueberlegung^
oder aus Uebereilung. — Sokrates hatte eine Gewohn¬
heit, die man sich zur Lehre nehmen kann. Wenn
er, nach dem Gebrauche der Griechen, sich durch
Laufen oder eine anders Leibesübung erhitzt hatte, so
trank er nicht gleich, sobald er an einen Brunnen
kam, sondern er füllte ganz langsam einen Eimer mit
Wasser, und goss ihn wieder aus. Dies that der
Weise nicht bloss desswegen, weil es gefährlich ist,
in der Hitze zu trinken; sondern hauptsächlich, um
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