204 Verfassung —
Regel bildet bei Kulturvölkern eine
rechtlich anerkannte, aus Rechts¬
sätzen bestehende Ordnung. Von
der Verfassung sind zu unterscheiden
die Gesetze, d. H. die auf der Grund¬
lage der Verfassung erlassenen An¬
ordnungen. 2. Das geschriebene
Staatsgrundgesetz, welches die
Staatsform (s. d.) und die Rechte
der Regierung und der Regierten
regelt. Solche Verfassungsurkun¬
den begegnen uns zunächst in den
Konstitutionen (Charten) der eng¬
lischen Kolonien in Nordamerika
zur Zeit des Unabhängigkeits¬
krieges (1776 - 83), dann in
Frankreich (zuerst 1791) und in
den übrigen Staaten des euro¬
päischen Festlandes, neuerdings
(1889) auch in Japan. England
hat keine geschriebene Verfassungs¬
urkunde. Vgl. Charte, Konstitu¬
tion und Reichsgrundgesetze. Die
Verfassung des Deutschen
Reiches (1871) enthält folgende
Abschnitte: 1. Bundesgebiet (22
Monarchien, 3 Republiken, 1 Reichs¬
land), 2. Reichsgesetzgebung; ihr
unterliegen u. a. die Bestimmungen
über Freizügigkeit^ Staatsbürger¬
recht, Gewerbebetrieb einschl. des
Versicherungswesens, die Zoll- und
Handelsgesetzgebung, die Ordnung
des Maß-, Münz- und Gewicht¬
systems, die Ersindungspatente, der
Schutz des deutschen Handels im
Auslande und der deutschen Schiff¬
fahrt, das Post- und Telegraphen¬
wesen, die Gesetzgebung über das
gesamte bürgerliche Recht, das
Strafrecht und das gerichtliche Ver¬
fahren, das Militärwesen des Reichs
und die Kriegsmarine, 3. Bundes¬
rat (s. d.), 4. Präsidium (s. Kai¬
Verhältniswahl.
ser), 5. Reichstag (s. d.), 6. Zoll-
und Handelswesen (s. Steuern und
Zölle), 7. Eisenbahnwesen, 8. Post-
und Telegraphenwesen (s. Post¬
regal), 9. Marine (s. d.) und
Schiffahrt, 10. Konsulatwesen (s. •
Konsul), 11. Reichskriegswesen (s.
Wehrpflicht), 12. Reichsfinanzen
(s. Steuern und Zölle), 13. Schlich¬
tung von Streitigkeiten und Straf¬
bestimmungen (s. Austrägalinstanz
und Hoch- und Landesverrat),
14. Allgemeine Bestimmungen (Ver¬
fassungsänderungen erfolgen im
Wege der Gesetzgebung, s. Gesetz).
Die Verfassungsurkunde für
den Preußischen Staat, zuerst
oktroyiert (s. d.), darauf am 31. Ja¬
nuar 1850 endgültig vereinbart,
dann aber noch mehrfach abgeän¬
dert, handelt in 9 „Titeln" vom
Staatsgebiete, den Rechten der
Preußen (s. Patrimoniale Gerichts¬
barkeit, Preßfreiheit, Religionsfrei¬
heit, Stände, Petitionsrecht, Wehr-,
pflicht), vom Könige (s. d.), von
den Ministern (s. d.), den Kam¬
mern (s. d.), von der richterlichen
Gewalt (Ausübung im Namen des
Königs, Absetzung der Richter nur
durch Richterspruch), von den nicht
zum Richterstande gehörigen Staats¬
beamten, von den Finanzen (s.
Steuern, Fiskus, Staatsschuld),
von den Gemeinden, Kreis-, Be¬
zirks- und Provinzialverbänden (s.
d., auch Selbstverwaltung).
Verhältniswahl, ein Wahlsystem,
wobei die einzelnen Parteien so
viele Vertreter in eine Körperschaft
wählen, als verhältnismäßig Stim¬
men für sie abgegeben werden; im
Deutschen Reich für die Gewerbe¬
gerichte (s. ix) gestattet.