Full text: Neuer christlicher Kinderfreund

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wie eS aussah, als die Franzosen vor Genua in dem en¬ 
gen Paß in der Bochetta standen und die Oestreicher davor, 
trat heiter und lächelnd, mit allen Reizen der fugend und 
Unschuld geschmückt, Franziska in daS Zimmer, um Etwas 
aufzuräumen oder zurecht zu legen, und dem jungen Eng¬ 
länder dünkte sie so schön, wie einst JsaakS Sohne die Rahe!, 
LabanS schöne Tochter, und er sagte daö der Tante. Diese 
aber sprach: „Sie ist nicht nur schön, sondern auch verstän¬ 
dig, und nicht nur verständig, sondern auch tugendhaft und 
fromm, und ist mir lieb geworden, als ein eigen Kind." 
Das nahm den reichen Engländer nur noch mehr für sie ein, 
und es dauerte nicht lange, so verlobte er sich mit ihr, und 
die fromme Tante gab ihren Segen dazu. 
Jetzt blieb sie noch ein Jahr bei ihrer bisherigen Ge¬ 
bieterin, aber nicht mehr als Kammermädchen, sondern als 
Freundin und Verwandte in dem reichen Haus mit vergol¬ 
detem Fenstergitier, und noch in dieser Zeit lernte sie die eng¬ 
lische Sprache, die französische, daS Klavierspielen. Wenn 
wir in höchsten Nöthen sein re., Der Herr, der aller Enden rc., 
Auf dich, mein lieber Gott, ich traue re. — und was sonst 
ein Kammermädchen nicht zu wissen braucht, aber eine vor¬ 
nehme Frau, daS lernte sie Alles. Nach einem Jahr kam 
der Bräutigam, noch ein Paar Wochen vorher, und die 
Trauung geschah in dem Hause der Tante. AlS aber von 
der Abreise deS neuen Ehepaars die Rede war, schaute die 
junge Frau ihren Gemahl bittend an, daß sie noch einmal 
in ihrer armen Heimath einkehren, und das Grab ihrer 
Mutter besuchen und ihr danken möchte, und daß sie ihre Ge¬ 
schwister und Freunde noch einmal sehen möchte. Also kehrte 
sie jenes TageS bei ihrem armen Bruder, dem Weber, ein, 
und als er ihr auf ihre Frage: „Kennst du mich, Heinrich?" 
keine Antwort gab, sagte sie: „Ich bin Franziska, deine 
Schwester." Da ließ er vor Bestürzung das Schifflein 
aus den Händen fasten, und seine Schwester umarmte ihn. 
Aber er konnte sich anfänglich nicht recht trauen, weil sie so 
vornehm geworden war, und scheute sich vor dem fremden 
Herrn, ihrem Gemahl, daß sich in seiner Gegenwart die 
Armuth und der Reichthum so geschwisterlich umarmen und 
zu einander sagen sollen: Du, bis er sah, daß sie mit dem 
Gewände der Armuth nicht die Demuth ausgezogen, und 
nur ihren Stand verändert hatte, nicht ihr Herz. Nach 
einigen Tagen aber, als sie aste ihre Verwandten und Be¬ 
kannten besucht chatte, .'reiste sie mit ihrem Gemahl nach 
älnderlr« und. 3. Ausl. 31
	        
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