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7. Hameln.
1. ^Wahrscheinlich schon zu den Zeiten Karls des Großen wurde
da, wo jetzt die Stadt Hameln liegt, ein Stift mit einer großen
Kirche gegründet, welches Bonifacius, dem Apostel der Deutschen, zu
Ehren das Stift des heiligen Bonifacius genannt wurde. Um das
Stift herum lagen einzelne kleine Ortschaften. Ihre Bewohner waren
in den unruhigen Zeiten, die unter den Nachfolgern Karls kamen,
selten sicher vor Plünderung und Brand; denn in jenen Zeiten that
jedermann, was ihn recht däuchte. Weil nun geistliche Stiftungen am
ersten mit Anfeindungen verschont blieben, so baueten die Bewohner
jener Dörfer sich in der Nähe des Stifts an. So entstand die Stadt
Hameln.- Ihren Namen hat sie von der Hamel, einem kleinen Flusse,
der sich in die Weser ergießt. Sie liegt in einem etwa eine halbe
Stunde breiten, fruchtbaren Thale, das von reich bewaldeten Bergen
eingeschlossen ist.
2. Bis vor 600 Jahren stand sie unter der Botmäßigkeit des
Stiftes zu Fulda in Kurhessen, welches Bonssacius durch einen seiner
Schüler hatte anlegen lassen. Der Abt Heinrich von Fulda verkaufte
seine Rechte an den Bischof Wedekind von Minden; damit waren
die Stiftsherren und die Einwohner von Hameln aber nicht zufrieden
und widersetzten sich ihrem neuen Schutzherrn. Dieser wollte sie sich
mit Waffengewalt unterwerfen; da zogen die jungen Bürger den
Scharen des Bischofs entgegen auf der Straße nach Münder. In der
Nähe der Stadt Münder lag dazumal ein Dorf, Sedemünder ge¬
nannt; an dessen Stelle steht jetzt eine Papiermühle, die noch heute den
Namen Sedemünder führt; vor etlichen Jahren bezeichnete auch noch
ein Stück Mauerwerk, der alte Turm genannt, die Stätte, wo früher
das Dorf lag. Da entspann sich ein'heißer Kampf, in welchem die
Bürgersöhne tapfer stritten, aber dennoch unterlagen. Keiner wandte
sich zur Flucht; viele wurden gelobtet; dre Mehrzahl aber wurde in die
Gefangenschaft nach Minden geführt, und die Stadt war ihrer jungen
Vertheidiger beraubt.
Sie hat im dreißigjährigen Kriege viel gelitten. Ihre Einwohner
hatten sich früh zur evangelischen Lehre bekannt; schon 1540 hatte der
Rath der Stadt den lutherischen Pastor Rudolf Möller aus Hannover
nach Hameln berufen. Im dreißigjährigen Kriege nun hatte die
Stadt den König Christian von Dänemark, der den Evangelischen
zu Hülfe gezogen war, aufnehmen müssen. Das nahm Tilly, der
feindliche Heerführer, übel, und drohte die Stadt zu stürmen. Der
König war abgezogen, und die emene Kraft der Bürger war zu schwach,
den Feinden zu widerstehen. . Sie übergaben ihm daher die Stadt.
Tilly zog zwar bald weiter, ließ aber eine Besatzung zurück, welche
den Bürgern zu großer Plage wurde; dazu hatten diese in 9 Jahren
bloß an Kriegssteuern und Brandschatzungen 189000 Thaler abgeben
müssen; es war ihnen fast nichts mehr geblieben, als das arme, viel¬
geplagte Leben.
Wiederum kamen schwere Tage über die Stadt während des