Full text: Lesebuch für hannoversche Volksschulen

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68. Dienertreue. 
Ein reicher Herr in Polen fuhr zur Winterzeit in einem Schlitten 
nach dem Städtlein Ostrowo, nur von seinem Knecht Jakob beglei¬ 
tet, der dem Schlitten vorreiten mußte. Ehe sie die Stadt erreichten, 
mußten sie zuvor durch einen langen, einsamen Wald, und es war 
bereits Abend. Der Knecht schlug daher dem Herrn vor, in einer 
Herberge, die am Eingänge des Waldes lag, zu übernachten; denn 
im Walde seien viele Wölfe, und die Unthiere seien wegen des 
harten Winters gar grimmig. Der Herr war aber einer von den 
wunderlichen, von denen, die einen guten Rath, wenn er von einem 
Knechte kommt, nicht annehmen mögen. Er fuhr ihn an und schrie: 
er werde wohl des Reitens überdrüssig sein; aber er werde nichts 
darnach fragen, sie müßten noch nach Ostrowo, es möge gehen, wie 
es wolle. Und so gings vorwärts, was die Pferde laufen konnten. 
Kaum aber sind sie eine Strecke im Walde, so hört der Herr hinter 
sich ein lautes Heulen, und als er sich umwendet, sieht er die Wölfe 
in Rudeln hinter dem Schlitten daherjagen und die vordersten schon 
ganz nahe. „Jakob, Jakob!" ruft er, „die Wölfe, die Wölfe!" 
Der treue Jakob erwidert kein Wort, sondern läßt ruhig den Herrn 
vorausfahren, reitet zwischen dem Schlitten und den Wölfen, zieht 
seine Pistolen und schießt von Zeit zu Zeit unter sie. Damit schreckt 
er eine Weile die Bestien. Endlich aber hat er kein Pulver mehr, 
und als sie nun an den Schlitten heranstürzen, sagt er: „Herr, ich 
muß meinen armen Braunen opfern und sehen, daß ich zu euch auf 
den Schlitten komme, sonst ist alles verloren." — „Thue, wie du 
willst", sagte der Herr, und im Augenblick war der Jakob vom 
Pferde und auf den Schlitten gesprungen und hielt sein Pferd am 
Zaum fest, bis die Wölfe herankamen, dann überließ ers Ihnen zur 
Beute. Es schien, als sollten sie dadurch einen Vorsprung gewinnen; 
aber nicht lange, so war ein Theil der Wölfe wieder heulend hinter 
ihnen her, und einige schickten sich an, in den Schlitten zuspringen, 
und der Edelmann gab sich nun verloren. Da sagte Jakob: „Herr, 
nun will ich in Gottes Namen auch das letzte noch für euch thun. 
Dort sind schon die Lichter von Ostrowo, und ihr könnt das Städt¬ 
lein erreichen, wenn ich nur auf ein paar Minuten die Bestien euch 
vom Halse halte. Sorgt für mein Weib und meine Kinder; lebt 
wohl, und denkt manchmal an den armen Jakob!" Damit zog er 
den Säbel, sprang aus dem Schlitten und stürzte sich mitten unter 
die Wölfe. Diese stutzten, fielen ihn aber dann wüthend an und 
übermannten ihn endlich. Sein Herr aber war mittlerweile unver¬ 
sehrt entkommen. Schnell nahm er Leute mit sich und eilte in den 
Wald zurück. Aber er fand nichts mehr, als die Gebeine seines 
treuen Knechtes; die sammelte er und ließ sie begraben. Das Weib 
und die Kinder aber versorgte er väterlich und wurde allen seinen 
Dienern ein freundlicher, gütiger Herr, beklagte es auch oft mit Thrä¬ 
nen, daß er nicht ohne bittere Reue an seinen treuen Knecht gedenken 
konnte.
	        
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