Full text: Der Westphälische Kinderfreund

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I. Erzählungen 
und Sorgfalt kennen zu lernen, und fand Ursach, mit 
ihm zufrieden zu seyn. Besonders gefiel ihm die Auf« 
richtigkeit, mit welcher Leonhard öfter sich selbst anklagte, 
wenn er etwas nicht recht gemacht oder vergessen hatte, 
und die Lernbegierde, welche er bei jeder Gelegenheit zeig¬ 
te. Bald hatte der gute Knabe so sehr das Zutrauen sei¬ 
nes Wohlthäters gewonnen, daß dieser ihm sogar die 
Schlüssel zu seiner Stube anvertrauete, wenn er des 
Abends ausging; und es hätte seinem Glücke nichts ge¬ 
fehlt, wenn nicht eine alte bösartige Haushälterin des 
Herrn Schulz seine Feindin geworden wäre; denn diese 
gab sich alle ersinnlrche Mühe, ihn anzuschwärzen und 
aus dem Hause zu bringen, weil sie an ihm einen lästigen 
Aufseher hatte, und nun nicht mehr, wie zuvor, auf Un¬ 
kosten ihres Herrn ihre Klatschschwestern tractiren konnte. 
Glücklicherweise gehörte Herr Schulz nicht zu den arg¬ 
wöhnischen Menschen, und war cuso sehr geneigt, den 
Leonhard so lange für einen guten Knaben zu halten, bis 
er Gründe hatte, das Gegentheil zu glauben. (Welches 
ist das Gegentheil?) Er hielt die Beschuldigungen der 
alten Haushälterinn daher für falsch, beobachtete aber 
aus Vorsicht Leonharden desto sorgfältiger, und setzte sei¬ 
ne Ehrlichkeit zuweilen auf eine schwere Probe. Da er 
ihn aber nie auf einer Lüge betraf, so trauere er ihm auch 
keine Betrügerei zu. Ost schickte er ihn aus, um etwas 
einzukaufen, und gab ihm dann mehr Geld mit, als er 
brauchte, aber immer brachte Leonhard das Uebrige treu« 
lich wieder, und nicht selten hatte er wohlfeiler eingekauft, 
als Herr Schulz geglaubt hatte. — Einst ließ dieser 
mit Vorsah ein Goldstück in einer leeren Geldtute, um 
zu sehen, ob Leonhard wohl ehrlich genug seyn würde, es 
nicht zu behalten. Leonhard fand das Goldstück, als ge¬ 
rade ein Diener des Herrn Schulz gegenwärtig war. 
Das ist ein guter Fund, rief dieser freudig aus, dafür 
wollen wir uns einen guten Tag machen, lieber Leonhard, 
denn so einfältig wirst du doch wohl nicht seyn, das 
Goldstück dem Herrn wiederzugeben? Allerdings werde 
ich es unserem Herrn wiederbringen, antwortete Leon¬ 
hard; denn ihm gehört es, und nicht uns. Mil gutem 
Gewissen können wir es nicht behalten, und ich mag mein
	        
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