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208. Der Schwanritter.
(Sage.)
Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche Erben
zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde gestiftet, dasz sein Land
der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran kehrte sich
jedoch Gotttried’s Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, wenig, sondern
bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und Waise unerachtet, des
Landes, das nach deutschem Rechte auf keine Weiber erben könne.
Die Herzogin beschlosz daher, bei dem König zu klagen; und als
bald darauf Karl nach Niederland zog, kam sie mit ihrer Tochter dahin
und begehrte Recht. Dahin war auch der Sachsenherzog gekommen und
wollte der Klage zur Antwort stehen. Es ereignete sich aber, dasz der
König durch ein Fenster schaute; da erblickte er einen weiszen Schwan,
der schwamm den Rhein herauf und zog an einer silbernen Kette, die
hell glänzte, ein Schifflein nach sich; in dem Schiff aber ru’nete ein
schlafender Ritter, sein Schild war sein Hauptkissen, und neben ihm lagen
Helm und Panzer; der Schwan steuerte gleich einem geschickten See¬
manne und brachte sein Schiff an das Gestade. Karl und der ganze Hof
verwunderten sich höchlich ob diesem seltsamen Ereignisz; jedermann
vergasz der Klagen der Frauen und lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen
war der Ritter erwacht und stieg aus der Barke ; wohl und herrlich empfing
ihn der König, nahm ihn selbst zur Hand und führte ihn gegen die Burg.
Da sprach der junge Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg wohl, lieber
Schwan ! wann ich dein wieder bedarf, will ich dir schon rufen.“ Sogleich
schwang sich der Schwan und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen
weg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an ; Karl ging
wieder zu seinem Gericht und wies jenem eine Stelle unter den anderen
Fürsten an.
Die Herzogin von Brabant, in Gegenwart ihrer schönen Tochter, hub
nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach vertheidigte sich auch der
Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampf für sein Recht,
und die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, das ihre zu bewähren.
Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den sich
niemand wagen würde; vergebens liesz sie im ganzen Saale die Augen
umgehen, keiner war da, der sich ihr erhoben hätte. Ihre Tochter klagte
laut und weinte; da erhub sich der Ritter, den der Schwan in’s Land ge¬
führt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hierauf wurde von beiden
Seiten zum Streit gerüstet, und nach einem langen und hartnäckigen Ge¬
fecht war der Sieg endlich auf Seiten des Schwanritters. Der Herzog von
Sachsen verlor sein Leben, und der Herzogin Erbe wurde wieder frei und
ledig. Da neigten sie und die Tochter sich dem Helden, der sie erlöst
hatte, und er nahm die ihm angetragene Hand der Jungfrau mit dem Be¬
ding an : dasz sie nie und zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen,
und welches sein Geschlecht sei, denn auszerdem müsse sie ihn verlieren.
Der Herzog und die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohl
gerathen ; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, dasz sie
gar nicht wuszte, wer ihr Vater war; und endlich that sie an ihn die ver¬
botene Frage. Der Ritter erschrak herzlich und sprach: „Nun hast du
selbst unser Glück zerbrochen und mich am längsten gesehen.“ Die
Herzogin bereute es, aber zu spät; alle Leute fielen ihm zu Füszen und
baten ihn zu bleiben. Der Held waffnete sich, und der Schwan kam mit
demselben Schifflein geschwommen ; darauf kiiszte er beide Kinder, nahm
Abschied von seinem Gemahl und segnete das ganze Volk, dann trat er
in das Schiff, fuhr seine Strasze und kehrte nimmer wieder. Der Frau