Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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weicht er auch in vielen Stücken sehr wesentlich von ihnen ab. Er ist 
ruhiger, als alle übrigen Mitglieder der Katzcnfamilie, und liebt deshalb 
größere Streifzüge durchaus nicht, sondern sucht es sich so bequem zu 
machen als möglich. 
Seine Lebensweise ist eine rein nächtliche, nur gezwungen ver¬ 
läßt er am Tage sein Lager. Bei Tage begegnet man ihm äußerst selten; 
im Walde nur, wenn man ihn durch Hunde auftreibcn läßt; dagegen sieht 
man ihn einzeln, obgleich selten, von einem erhabenen Punkt Umschau über 
die Gegend halten, wahrscheinlich um die Beute auszukundschaften. Erst 
mit der Nacht zeigt er sich allgemein sind kündet durch donnerartiges Brüllen 
seine Wache und den Beginn seiner Streifzüge an. 
69. Das Gebrüll des Löwen. 
Man begreift, daß alle Thiere, welche diesen fürchterlichen Räuber 
kennen, vor Entsetzen fast die Besinnung verlieren, sobald sie ihn nur brüllen 
hören. Dieses Gebrüll ist bezeichnend für das Thier selbst. Man könnte 
es einen Ausdruck seiner Kraft nennen, es ist einzig in seiner Art und wird 
von keiner Stimme eines andern lebenden Wesens übertroffen. Die Araber 
haben ein sehr bezeichnendes Wort dafür, sie nennen es donnern. Be¬ 
schreiben läßt sich das Löwcngebrüll nicht. Tief aus der Brust scheint es 
hervorzukommen und scheint diese zersprengen zu wollen. Es ist schwer, 
die Richtung-zu erkennen, von woher cs erschallt, denn der Löwe brüllt 
gegen die Erde hin, und auf dieser pflanzt sich der Schall wirklich wie 
Donner fort. 
Unbeschreiblich ist die Wirkung, welche des Königs Stimme unter 
seinen Unterthanen hervorruft. Die heulende Hyäne verstummt, wenn 
auch nur auf Augenblicke, der Leopard hört auf zu grunzen, die Affen 
beginnen laut zu gurgeln und steigen angsterfüllt zu den höchsten Zweigen 
empor. Die blökende Herde wird todtcnstill; die Antilopen brechen 
in rasender Flucht durch'- Gezweig ; das beladene Käme el zittert, gehorcht 
keinem Zurufe seines Treibers mehr, wirft seine Lasten, seinen Reiter ab 
und sucht sein Heil in eiliger Flucht ; das Pferd bäumt sich, schnauft, 
bläst die Nüstern auf und stürzt rückwärts; der nicht zur Jagd gewöhnte 
Hund sucht winselnd Schutz bei seinem Herrn : kurz Freiligrath's Be¬ 
schreibung ist vollkommen richtig: 
„Dem Panther starrt das Rosenfell, 
Erzitternd flüchtet die Gazell', 
Eö lauscht Kameel und Krokodil 
Des Königs zürnendem Äebrüll." 
Und selbst der Mann, an dessen Ohr zum ersten Mal diese Stimme 
schlägt, in der Nacht des Urwaldes, selbst er fragt sich, ob er auch Held 
genug sei dem gegenüber, welcher diesen Donner hervorruft.
	        
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