Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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an die Dörfer, ja selbst an die Städte heran. Die schilfbewachsenen Ufer der 
Flüsse, die ungeheuren schilsartigen Bambusgebüsche und andere Dickungen 
sind seine Lieblingsplatze. Er hat alle Sitten und Gewohnheiten der 
Katzen, aber sie stehen bei ihm im gleichen Verhältniß zu seiner Größe. 
Seine Bewegungen sind jedoch ebenso anmuthig wie die kleinerer Katzen, 
und dabei ungemein rasch, gewandt und zugleich ausdauernd. Er schleicht 
unhörbar dahin, versteht gewaltige Sätze zu machen, klettert trotz seiner 
Größe rasch und geschickt an Bäumen empor, schwimmt meisterhaft schnur¬ 
gerade über breite Ströme und zeigt dabei immer die bewunderungswürdigste 
Sicherheit in der Ausführung jeder einzelnen Bewegung. 
Er ist kein eigentliches Nachtthier wie der Löwe, sondern streift, wie 
die meisten Katzen, zu jeder Tageszeit umher, wenn er auch den Stunden 
vor und nach Sonnenuntergang den Vorzug giebt. An Tränkplätzcn, 
Landstraßen, Dorfwegen, Waldpfaden und dergleichen legt er sich auf die 
Lauer; am allerliebsten in dem Gebüsch an den Flußusern, weil hier ent¬ 
weder die Thiere zur Tränke kommen oder die Indier herabsteigen, um ihre 
frommen Uebungen und Waschungen zu verrichten. Eigentlich ist kein 
Thier vor dem entsetzlichen Räuber sicher; er greift selbst den jungen Ele¬ 
phanten und das junge Nashorn an, wenn er sich auch an die alten 
Thiere nicht wagt und einem ausgewachsenen Elephanten unterliegen muß. 
Sämmtliche Säugethiere, vielleicht mit Ausnahme der anderen Raubthiere 
und der übrigen Katzenarten, fallen ihm zur Beute, und er stürzt sich eben¬ 
sowohl auf die stärksten, als auf die schwächsten. Außerdem holt er sich 
auch aus der Klasse der Vögel, ja selbst aus der Klasse der Lurche hier und 
da eine Beute. In denselben Dickungen, in welchen er sich aufhält, woh¬ 
nen auch viele Hühnerarten, namentlich die Pfauen. Gerade sie haben 
es sehr häufig mit den Tigern zu thun und kennen ihn deshalb genau. Sie 
werden auch gewöhnlich zum Verräther des still dahinschleichcnden Raub- 
thieres, indem sie entweder geräuschvoll auffliegen und Schutz vor ihm 
suchen oder, wenn sie bereits gebäumt haben, ihre weittönende Stimme aus¬ 
stoßen, den übrigen Geschöpfen gleichsam zur Warnung. Auch die Affen 
verleiden ihm oft seine Jagd. 
Der Tiger belauert und beschleicht schlangenartig seine Beute, stürzt 
dann pfeilschnell mit wenigen Sätzen auf dieselbe los und schlägt die Kral¬ 
len mit solcher Kraft in den Nacken ein, daß auch das stärkste Thier sofort 
zu Boden stürzt. Die Wunden, welche er schlägt, sind immer außerordent¬ 
lich gefährlich; denn nicht bloß die Nägel, sondern auch die Zehen dringen 
bei dem fürchterlichen Schlage ein. 
Ein Tiger, welcher bei dem Marsche eines Regiments ein Kameel 
angriff, brach diesem mit einem Schlage den Schenkel. Ein anderer soll 
sogar einen Elephanten umgeworfen haben. Pferde, Rinder und 
Hirsche wagen gar keinen Widerstand, sondern ergeben sich, wie der Mensch, 
schreckerfüllt in das Unvermeidliche. Bloß die muthigen männlichen Büf¬ 
fel gehen zuweilen auf den Tiger los und wissen ihm mit ihren tüchtigen 
Hörnern auch erfolgreich zu begegnen. Deshalb betrachten sich die in-
	        
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