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dich besser hören kann." — „Ei Großmutter, was hast du für große Augkn !"
— „Daß ich dich besser sehen kann." — „Ei Großmutter, was hast du
für große Hände!" — „Daß ich dich besser packen kann!" — „Aber
Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!" — „Daß ich
dich besser fressen kann !" Und wie der Wolf das gesagt hatte, sprang er
aus dem Bette und auf das arme Rothkäppchen und verschlang es.
Wie der Wolf den fetten Bissen im Leibe hatte, legte er sich wieder
in's Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. Der Jäger
ging eben vorbei und dachte bei sich: „Wie kann die alte Frau so schnar-
4^ chen? du mußt einmal nachsehen, ob ihr etwas fehlt." Da trat er in
die Stube, und wie er vor's Bett kam, so lag der Wolf darin, den er lange
gesucht hatte. Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein : „Viel¬
leicht hat er die Großmutter gefressen, und ich kann sie noch erretten", und
schoß nicht, sondern nahm eine Schere und schnitt dem schlafenden Wolf
den Bauch auf. Wie er ein paar Schnitte gethan, da sah er das rotbe
Käppchen leuchten, und wie er noch ein wenig geschnitten, da sprang das
Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken! was war's so
dunkel in dem Leibe des Wolfes!" und dann kam die Großmutter auch
lebendig heraus. Rothkäppchen hatte aber große schwere Steine, damit
füllte sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen,
aber die Steine waren so schwer, daß er gleich niedersank und sich todt fiel.
Da waren alle drei vergnügt, der Jäger nahm den Pelz vom Wolf,
die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rothkäppchen
gebracht hatte, und Rothkäppchen dachte bei sich: „Du willst dein Lebtag
nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald laufen, wenn dir's die Mutter
verboten hat."
68. Der Sandmann.
1. Zwei seine Stieflein hab' ich an,
mit wunderweichen Söhlchen dran,
ein Säcklein hab' ich hinten auf,
husch! trippl' ich rasch die Trepp'
hinauf.
2. Und wenn ich in die Stube tret',
die Kinder beten das Abendgebet,
von meinem Sand zwei Körnelein
streu' ich auf ihre Aeugelein.
3. Da schlafen sie die ganze Nacht
in Gottes und der Englein Wacht.
Von meinem Sand zwei Körnelein
streut' ich auf ihre Aeugelein.
4. Den frommen Kindern soll gar schön
ein froher Traum vorübergehn.
Nun frisch und rasch mit Sack und
Stab
nur wieder jetzt die Trepp' hinab!
5. Ich kann nicht länger müssig stehn,
ich muß noch heut' zu vielen gehn.
Nun seht, mein Säcklein öffnet' ich kaum,
da nickt ihr schon und lächelt im Traum.