122. König Friedrich und sein Nachbar.
Der König Friedrich II. von Preuszen hatte acht Stunden von
Berlin ein schönes Lustschlosz und war gern darin, wenn nur nicht
ganz nahe dabei die unruhige Mühle gewesen wäre. Denn erstens
stehen ein königliches Schlosz und eine Mühle nicht gut neben ein¬
ander, obgleich das Weiszbrot auch in dem Schlosse nicht übel
schmeckt , wenn die Mühle fein gemahlen und der Ofen wohl ge¬
backen hat. Auszerdem aber, wenn der König in seinen besten
Gedanken war und nicht an den Nachbar dachte, auf einmal liesz
der Müller seine Mühle klappern und dachte auch nicht an den
Herrn Nachbar, und die Gedanken des Königs störten zwar das
Räderwerk der Mühle nicht, aber manchmal das Klapperwerk der
Räder die Gedanken des Königs. Eines Tages liesz er den Müller
zu sich kommen. „Ihr begreift,“ sagte er zu ihm, „dasz wir zwei
nicht neben einander bestehen können. Einer musz weichen. Was
gebt Ihr mir für mein Schlöszlein ?“ Der Müller sagte : „Wie hoch
haltet Ihr es, königlicher Herr Nachbar ?“ Der König erwiderte ihm:
„Wunderlicher Mensch, so viel Geld habt Ihr nicht, dasz Ihr mein
Schlosz kaufen könnt. Wie hoch haltet Ihr Eure Mühle?“ Der
Müller erwiderte : „Gnädigster Herr, so habt Ihr auch nicht so viel
Geld, dasz Ihr mir meine Mühle abkaufen könnt. Sie ist mir nicht
feil.“ Der König that gern ein Gebot, auch das zweite und dritte,
aber der Nachbar blieb bei seiner Rede: „Sie ist mir nicht feil.
Wie ich darin geboren bin, so will ich darin sterben, und wie sie
mir von meinem Vater erhalten worden ist, sollen sie meine Nach¬
kommen von mir erhalten und auf ihr den Segen ihrer Vorfahren
ererben.“ Da nahm der König eine ernsthaftere Sprache an. „Wiszt
Ihr auch, guter Mann, dasz ich gar nicht nöthig habe viele Worte
zu machen? Ich lasse Eure Mühle taxieren und breche sie ab.
Nehmt alsdann das Geld oder nicht!“ Da lächelte der unerschrockene
Müller und erwiderte dem Könige: „Gut gesagt, allergnädigster
Herr, wenn nur das Kammergericht zu Berlin nicht wäre !“ — näm¬
lich , dasz er es wolle auf einen richterlichen Ausspruch ankommen
lassen. Der König war ein gerechter Herr und konnte überaus
gnädig sein, also dasz ihm die Herzhaftigkeit und Freimüthigkeit
einer Rede nicht misfällig war, sondern wohlgefiel. Denn er liesz
von dieser Zeit an den Müller unangefochten und unterhielt fort¬
während mit ihm eine friedliche Nachbarschaft.
123. Kannitverstan.
Der Mensch Hat wohl täglich Gelegenheit, Betrachtungen über den
Unbestand aller irdischen Dinge anzustellen, wenn er will, und znsrieden zu
werden mit seinem Schicksal, wenn auch nicht viel gebratene Tauben für
ihn in der Luft herumfliegen. Aber auf dem seltsamsten Umweg kam ein