Full text: [Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband]] (Teil 2 = 4. und 5. Schuljahr, [Schülerband])

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viel Geld gaben, daß er Leder zu vier Paar Schuhen einkaufen 
konnte. Er fand früh morgens auch die vier Paar fertig; und so 
ging's immer fort: was er abends zuschnitt, das war am Morgen 
verarbeitet, also daß er bald wieder sein ehrliches Auskommen 
hatte und endlich ein wohlhabender Mann ward. Nun geschah es 
eines Abends nicht lange vor Weihnachten, als der Mann wieder 
zugeschnitten hatte, daß er vor Schlafengehen zu seiner Frau 
sprach: „Wie wär's, wenn wir diese Nacht aufblieben, um zu 
sehen, wer uns solche hilfreiche Hand leistet?“ Die Frau war's 
zufrieden und steckte ein Licht an; darauf verbargen sie sich in den 
Stubenecken hinter den Kleidern, die da aufgehängt waren, und 
gaben acht. Als es Mitternacht war, da kamen zwei kleine, nied— 
liche, nackte Männlein, setzten sich vor des Schusters Tisch, nahmen 
alle zugeschnittene Arbeit zu sich und fingen an, mit ihren Finger— 
lein so behend und schnell zu stechen, zu nähen, zu klopfen, daß der 
Schuster vor Verwunderung die Augen nicht abwenden konnte. 
Sie ließen nicht nach, bis alles zu Ende gebracht war und fertig 
auf dem Tische stand; dann sprangen sie schnell fort. 
Am andern Morgen sprach die Frau: „Die kleinen Männlein 
haben uns reich gemacht, wir müßten uns doch dankbar dafür 
zeigen. Sie laufen so herum, haben nichts am Leibe und müssen 
frieren. Weißt du was? Ich will Hemdlein, Rock, Wams und 
Höslein für sie nähen, auch jedem ein Paar Strümpfe stricken; 
mach du jedem ein Paar Schühlein dazu.“ Der Mann war das 
wohl zufrieden. Abends, wie sie alles fertig hatten, legten sie die 
Geschenke statt der zugeschnittenen Arbeit zusammen auf den Tisch 
und versteckten sich dann, um mit anzusehen, wie sich die Männlein 
dazu anstellen würden. Um Mitternacht kamen sie herange— 
sprungen und wollten sich gleich an die Arbeit machen; als sie aber 
kein zugeschnittenes Leder, sondern die niedlichen Kleidungsstücke 
fanden, verwunderten sie sich erst, dann aber bezeigten sie eine ge— 
waltige Freude. Mit der größten Geschwindigkeit zogen sie sich 
an, strichen die schönen Kleider am Leibe und sangen: 
„Sind wir nicht Knaben glatt und fein? 
Was sollen wir länger Schuster sein!“ 
Deutsches Sesebuch Ausgabe A. Zweiter Teil.
	        
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