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Da bei der Flut sich die Wassertiefen um 2 bis 4 Meter Stärke 
vermehren, so werden Gräben,-die einige Stunden zuvor kaum ein Boot 
zu tragen vermochten, selbst für große Fahrzeuge schiffbar. Alle Schiffe, 
welche die Ebbe aus den Sand setzte, und die, schief aus die Seite 
gebeugt, traurig dalagen, wie Fische, die der Sturm ans Land warf, 
richten sich gemach wieder empor und erholen sich allmählich, wie arme 
Kranke, die man der frischen Luft zurückgab. Endlich lösen sie sich 
Völlig aus dem klebrigen Boden und schweben beweglich und schwankend 
aus dem klaren Elemente, wie flüchtende Enten, die vom unbequemen 
Festland auf den glatten Teich sich gerettet. Nun wird in allen Häfen 
und an allen Ufern gerüstet. Schiffe aller Größen und Arten spannen 
die Segel auf, lösen sich vom Strande und tragen ihre Reisenden, 
ihre Waren, ihre Botschaften von Ufer zu Ufer. Auch die großen 
Seefahrer, die vor den Mündungen der Ströme den Moment der 
Fluthöhe erwarten, ziehen landeinwärts und schwimmen mit gebauschten 
Segeln und vollem Wasser in die sicheren Thore des Festlandes. 
Es ist bemerkenswert, daß es weit mehr Ebbe-, als Flutbilder 
giebt, und in der That ist auch die Ebbe viel ergiebiger in Erzeugung 
malerischer Scenen, als die Flut. Die Ebbe ist poetischer, wie die 
Armut, das Unglück und die Not. Da liegt das arme Schiff gestrandet 
am Ufer und erweckt unser Mitleid. Da kriechen das Bettelvolk der 
Küstenstädte, die zerlumpten Kinder und die armen Muschelsammler 
und Krabbenfänger hervor und schleichen an den Bollwerken der Häfen 
herum, an denen die Ernte gereift ist, nämlich die Muscheln, die das 
Meer hier säete und Pflanzte. Mit der Flut ist nur der Reiche und 
Glückliche im Bunde, der seine stolzen Schiffe auf ebener Bahn entsendet. 
Die Ebbe enthüllt auch eine Menge Geheimnisse der Tiefe, welche die 
Flut mit dem einförmigen Teppich des Wassers gleichmäßig überzieht. 
Da kommen die hübschen Muscheln und die wunderlichen Ungetüme 
des Meeres zutage, die sich auf dem Grunde versäumten; da sieht 
man die versandeten Wracks und Balken des ehemals gestrandeten 
Schiffs; da zeigen sich im Sonnenschein die Korallen und Kräuter, 
die in der dunkeln Tiefe des Meeres wachsen. Auch sonst ist die Ebbe 
viel reicher an Kontrasten der Lichter und Farben, als die Flut, die 
alles mit einer Farbe überzieht. Selbst in der Luft herrscht zur Zeit 
der Ebbe ein regeres Leben; denn die Vögel machen sich heran, um 
der Ebbe zu folgen. Sie finden, wie das arme Bettelvolk der Küsten¬ 
städte, ihre Tafel auf den Sandbänken reichlich gedeckt. Die Strand¬ 
läufer, die Möven, selbst die Schnepfen und Störche flattern oder 
wandeln am Strome oder auf den entblößten Lagunen, um auf das 
Seegewürm Jagd zu machen. Während der Flutzeit, die ihnen einen 
Teil ihrer Nahrung entzieht, sitzen sie dann ruhig am Lande auf den 
Wiesen, hinter den Deichen, mit dem unpoetischen Geschäfte der Ver¬ 
dauung beschäftigt. Kohl. 
88. Die Ostsee. 
Die Ostsee oder das Baltische Meer hängt durch den Sund, 
den Kleinen und Großen Belt, die Eider und den Eiderkanal mit der
	        
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