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15. ■ Eine Weile überlassen wir uns dem Eindrücke dieser
unterirdischen Welt; und seltsam, — mit einem Male steigt, durch
sie geweckt, ein farbenprächtiges Phantasiebild mitten in dieser
Finsternis vor unserem Geiste aus. Wir sehen vor uns eine Land¬
schaft mit hohen fremdgestalteten Bäumen. Gewaltige Schachtel¬
halmgewächse und Bärlappe, baumartig emporgeschossen, erheben
ihre hohen Stämme und wunderlichen Blätterkronen. Prächtige
Zapfenpalmen, unseren heutigen Cycadeen eng verwandt, stehen
dazwischen; hohe Nadelhölzer, meist der Familie der Araukarien
angehörig, bereichern das Pflanzenbild, und baumartige Farnkräuter,
nebst zierlichen Vertretern derselben Familie, die den Boden dicht
überwuchern, geben der Landschaft einen eigenen Reiz. Zwischen
sumpfigen Inseln und Landvorsprüngen dringt allerwärts das
Wasser des Meeres hinein. In seinen Fluten schießen Fische aus
der Familie der Haie dahin, während am Lande gewaltige Reptilien
beutegierig einherschleichen. Tropische Hitze liegt über dieser Natur,
und Wasserdünste verschleiern die Atmosphäre.
16. Zwar ist es ein Phantasiebild, das hier vor unserem
geistigen Auge steht, allein es ist zugleich ein Bild, dem tatsächliche
Verhältnisse zugrunde liegen; denn auf diesem Boden muß einst
in der Vorzeit eine Natur, ähnlich der angegebenen, vorhanden
gewesen sein, und in der vor uns lagernden Steinkohle sehen wir
die Reste ihrer untergegangenen üppigen Pflanzenwelt. Besonders
reich waren die blütenlosen Gewächse vertreten. Daneben treten
häufiger einzelne Nadelhölzer und zahlreiche Zapfenpalmen (Cyeadeen)
neben einer geringeren Anzahl wirklicher Palmen auf. Großartig
war damals der Reichtum an Farnkräutern, von denen über zwei¬
hundert Arten in Abdrücken des Kohlenschiefers nachgewiesen sind,
und die in allen Größen und Gattungen, von den niedrigsten
krautartigen Vertretern, bis zu den zierlichen und zugleich mächtigen
Gestalten der Banmsarne vorkamen. In den vermutlich sumpfigen
Gewässern dieser Landschaft lebten neben den vorhin schon er¬
wähnten Fischen und Amphibien zahlreiche Arten von Weichtieren,
besonders Kopffüßler, Schnecken und Muscheln, ferner Korallen,
Seeigel, Seelilien, Krebse, Tausendfüße und Insekten. Dagegen
fehlten verinutlich alle höheren Tiergeschlechter, wie auch bei der
Pflanzenwelt die entwickelteren Blütengewächse bisher vergebens in
der Steinkohlenformation gesucht worden sind.