Full text: Der deutsche Kinderfreund

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II. Erzählungen 
schlack Henriette, als sie sah, was sie mit ihrer Unvor¬ 
sichtigkeit angerichtet hatte; was sollte sie nun thun, 
damit ihre Aeltern nichts hievon merkten? In der Hast 
ergriff sie ein Tuch, um die Tinte wegzuwischen, aber 
es fiel ihr nicht ein, das Tuch zu besehen, und siche 
da, es war ihres Vaters Halstuch, womit sie die Tinte 
weggewischt hatte. War sie vorher schon erschrocken, so 
erschrack sie nun noch weit mehr. Aber es war nun ein 
Mal geschehen, und sie konnte nichts Besseres thun, als 
sich selbst bei ihrer Mutter anklagen. Dies Mal kam sie 
mit einem nachdrücklichen Verweise davon. Sie nahm 
sich vor, künftig behutsam zu sehn; aber schon am 
folgenden Tage begieng sie eine ähnliche Unvorsichtigkeit. 
Als ihre Mutter das Mittagsesscn zubereitete, befahl sie 
ihr, einen Topf mit Wasser, der auf dem Ofen stand, 
auszuschütten, und ihr den Topf zu bringen. Henriette 
gieng, ergriff aber statt des Wasscrtopfes einen Topf 
mit Fleischbrühe, und schüttete die schöne «".-ühe zum 
Fenster hinaus. Eine wohlgekleidcte Frau, die unter dem 
Fenster vorbei gieng, sah sich auf ein Mal über und über 
mir Brühe begossen. Ihr ganzes Kleid war verdorben. 
Sie kam zu Henrietten- Mutter, beschwerte sich sehr, 
und verlangte, daß sie ihr das Kleid bezahlen sollte. Dies 
Mal blieb cs nicht bei einem nachdrücklichen Verweise, 
sondern Henriette erhielt Strafe. Was konnte Hen¬ 
riette wohl nicht langneu? Womit konnte sie sich ent¬ 
schuldigen? Ernstlicher, als jemals, nahm sie sich vor, 
vorsichtig und bedächtig zu werden. Aber wie wenig 
sie ihrem Vorsatz getreu blieb, wird die Folge zeigen.— 
Es war ungefähr acht Tage nachher, als sie allerlei 
häusliche Geschäfte zu verrichten hatte, wobei sie sich 
wenig Zeit nehmen durfte. Indem sie rasch aus der 
Küche in die Stube gehen will, bemerkte sie die Wanne 
nicht, welche sie eben erst selbst hingesetzt und mit Was- ' 
ser angefüllt hatte, stolpert darüber, stürzt hin, und 
schlägt sich an einer Tischecke zwei Zähne aus. Wem 
hatte sie dies Unglück zuzuschreiben? Sie weinte bitter¬ 
lich über ihre Unbesonnenheit, und konnte sich 
lange nicht zufrieden geben; denn sie war durch den Ver¬ 
lust ihrer Zähne sehr entstellt. Nun hätte man denken 
sollen, daß ein so empfindliches Unglück sie bessern 
würde. Wirklich war sie auch in den nächsten Wochen
	        
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