Neunte Abth. Etwas üb. d. auß. Wohlanständigk. 291
tz
und von einem unanständigen Benehmen schwerlich auf ein
veredeltes Gefühl schließen. Auch hat Mancher durch einen '
Fehler gegen die Schicklichkeit viele zeitliche Vortheile ver¬
scherzt.
§. 2.
B. Wie lernt man aber daö Anständige kennen?
0 Durch Achtung auf die Gesetze der Tugend. (Phi¬
lipp. 4, 8.)
2) Durch Schärfung und Belebung des Gefühls für das
Schöne, Schickliche und Anständige. Dieß Gefühl liegt in je¬
der gesunden Menschennatur; nur daß man seine Bildung nicht
vernachlässigt. Es gibt Arbeiter, die auch bei den schmutzig¬
sten Arbeiten Sinn für Reinlichkeit zeigen, sich vor Verun¬
reinigung zu hüten wissen, oder, wo es unmöglich ist, sich
sogleich reinigen; es gibt dagegen wohlhabende Menschen,
die doch immer unreinlich und zerlumpt erscheinen. Es gibt
Landleute, die sich auch vor den Vornehmsten schicklich zu beneh¬
men wissen. So fühlt man leicht, daß es unschicklich sey
zusagen: Erlauben Sie gehorsamst, verzeihen Sie gehor¬
samst : ich habe die Ehre Sie nicht zu kennen; statt: Erlau¬
ben Sie gütigst rc. — Ich habe nicht die Ehre Sie zu ken¬
nen rc. * ,
3) Durch Aufmerksamkeit aufdas Verhalten solcher Men¬
schen, die als verständig, gebildet und gesittet anerkannt wer¬
den. Wohl dem, der einen solchen zu einem belehrenden
Freunde hat.
4) Auch kann einiger Unterricht darüber nützen, doch
Nicht für alle Fälle Regeln geben.
§. Z.
Dabey ist aber zu bemerken:
a) Das Herz ist der Kern, der äußre Anstand ist die
Schale. Nun erfreut uns zwar ein Apfel mit schönen Far¬
ben; aber täuscht er uns einmal durch einen schlechten Ge¬
schmack, so wählen wir ein andermal den weniger ansehnli¬
chen, stellen den schönen zur Schau hin, warnen aber Jeden
ihn zu genießen. Erhaltet bey dem Streben Euch durch an¬
ständige Sitten und Lebensart auszuzeichnen, auch das Herz
gut. Glätter Ihr bloß an Eurer Außenseite und bessert nicht vor
Allem an dem Innern, lernt Ihr eine Menge Schmeicheleyen,
schöner nichtssagender Redensarten und leerer Höflichkeiten,