2
wäre mir schön," rief die andere. „Geh' du zurück und
laß mich hinüber, ich war zuerst auf der Brücke.
„Was fällt dir ein?" versetzte die erste; „ich bin so
viel älter als du, und sollte dir weichen? nimmermehr!"
5. Beide bestanden immer hartnäckiger darauf, daß sie
einander nicht nachgeben wollten; jede wollte zuerst hin¬
über, und so kam cs vom Zanke zum Streite und zu
Thätlichkeiten. . Sie hielten ihre Hörner vorwärts und
rannten zornig gegen einander. Von dem heftigen Stoße
10. verloren aber beide das Gleichgewicht; sie stürzten mit
einander über den schmalen Steg hinab in den reißen-
, den Waldstrom, aus welchem sie sich nur mit großer An¬
strengung an's Ufer retteten.
So geht's den Eigensinnigen und Hartnäckigen!
Grimm's Fabelbibliothek.
4. Morgenlied.
15. Steht auf. ihr lieben Kindeleiu!
Der Morgenstern mit hellem Schein
Beginnt am Himmel seinen Lauf
Und weckt die kleinen Kinder auf.
Sei schön willkommen, lieber Tag!
20. Vor dir die Macht nicht bleiben mag.
Leucht' uns in unsre Herzen fein
Und mache uns vom Bösen rein.
Des Knaben Wunderhorn.
5. Drei Paare und Einer.
Du hast zwei Ohren und einen
Mund:
25. Willst du's beklagen?
Gar Vieles sollst du hören, und
Wenig drauf sagen.
Du hast zwei Augen und einen
Mund:
30. Mach dir's zu eigen!
Gar Manches mußt du sehen, und
Manches verschweigen.
Du hast zwei Hände und einen
Mund:
Lern' es ermessen!
Zwei sind da zur Arbeit, und
Einer zum Essen.
Rückert.
35.
6. Rothkehlchen.
Ein Rothkehlchen kam in der Strenge des Winters
an das Fenster eines frommen Landmannes, als ob es
gern hinein möchte. Da öffnete der Landmann sein Fen¬
ster und nahm das zutrauliche Thierchen freundlich in
seine Wohnung. Nun pickte es die Brosamen und Krüm¬
chen auf, die von des Landmanns Tische fielen. Auch